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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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der Speer sein Gesicht traf, dann spürte er nichts mehr.

22
    Über die Dörfer
    329 NR
     
     
     
    Rojer tanzte, während sie marschierten, und vier bunt lackierte Holzbälle kreisten über seinem Kopf. Stillstehen und dabei jonglieren konnte er immer noch nicht, aber als Rojer Achtfinger hatte er einen Ruf zu verlieren, und deshalb hatte er gelernt, seine Behinderung zu vertuschen, indem er sich geschickt hin und her bewegte, um seine verstümmelte Hand in eine Position zu bringen, in der er die Kugeln leichter auffangen und werfen konnte.
    Für seine vierzehn Jahre war er mit einer Körpergröße von knapp über fünf Fuß immer noch klein; er hatte karottenrote Haare und ein rundes, blasses, sommersprossiges Gesicht. Nun bückte und streckte er sich abwechselnd, drehte sich im Kreis, und seine Füße bewegten sich im Rhythmus der durch die Luft sausenden Kugeln. Seine weichen, an den Zehen aufgeplatzten Stiefel waren voller Straßenstaub, und die Staubwolken, die er bei seiner Tänzelei aufwirbelte, stiegen ihnen in Mund und Nase. Jeder Atemzug schmeckte nach trockener Erde.
    »Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt, wenn du beim Jonglieren ohnehin nicht stillstehen kannst?«, fragte Arrick gereizt. »Du siehst aus wie ein Amateur, und deine Zuschauer
werden genauso wenig begeistert sein wie ich, wenn sie den aufgewirbelten Dreck einatmen.«
    »Ich gebe ja keine Vorstellung auf der Straße«, meinte Rojer.
    »In den Dörfern kann das ohne weiteres vorkommen«, widersprach Arrick. »Dort ist der Boden nicht mit Planken bedeckt.«
    Rojer geriet aus dem Takt, und Arrick blieb stehen, während der Junge hektisch versuchte, seinen Rhythmus wiederzufinden. Schließlich gelang es ihm, die Bälle wieder unter Kontrolle zu bekommen, trotzdem schnalzte Arrick missbilligend mit der Zunge.
    »Wie halten sie die Dämonen denn davon ab, innerhalb der Mauern aus dem Boden zu steigen, wenn sie keine Planken ausgelegt haben?«, wollte Rojer wissen.
    »Dörfer sind nicht von Mauern umgeben«, erklärte Arrick. »Selbst einen winzigen Weiler mit einem Netz aus Siegeln zu schützen, würde ein Dutzend Bannzeichner auf Trab halten. Wenn ein Dorf auf zwei Bannzeichner und einen Lehrling zurückgreifen kann, schätzen sich die Leute schon glücklich.«
    Rojer schluckte den Geschmack nach Galle hinunter, der ihm in den Mund gestiegen war, und fühlte sich auf einmal ganz schwach. Schreie, die er vor über zehn Jahren gehört hatte, hallten wieder in seinem Kopf, er wurde abgelenkt und stolperte. Er fiel auf den Hintern, und die Bälle regneten auf ihn herab. Wütend schlug er mit seiner verkrüppelten Hand auf den Boden.
    »Das Jonglieren überlässt du besser mir und konzentrierst dich stattdessen auf andere Talente«, meinte Arrick. »Wenn du nur halb so viel Zeit mit Gesangsübungen verbringen würdest wie mit dem Jonglieren, könntest du vielleicht drei Noten hintereinander singen, ehe deine Stimme umkippt.«

    »Du sagst doch immer: ›Ein Jongleur, der nicht Jonglieren kann, ist gar kein Jongleur‹?«, muckte Rojer auf.
    »Was ich gesagt habe, spielt keine Rolle!«, schnappte Arrick. »Glaubst du etwa, dieser verfluchte Jasin Goldkehle jongliert? Du hast andere Begabungen. Sobald wir dich aufgebaut und dir einen Namen gemacht haben, nimmst du dir Lehrlinge, die für dich jonglieren.«
    »Warum sollte ich jemanden einstellen, der meine Tricks für mich macht?«, fragte Rojer, sammelte die Bälle ein und steckte sie in den Beutel, der an seiner Taille hing. Dabei strich er zärtlich über die Wölbung, die sein Talisman verursachte, der sicher in der geheimen Tasche im Hosenbund aufgehoben war; wie so oft schöpfte er aus dieser Berührung Zuversicht und Kraft.
    »Weil man mit billigen Tricks kein Geld verdienen kann, Junge«, klärte Arrick ihn auf und genehmigte sich einen Schluck aus dem Weinschlauch, den er immer mit sich herumschleppte. »Jongleure machen Klats. Mache dir einen Namen, und man überschüttet dich mit weichem Milneser Gold, so wie es mir früher ergangen ist.« Danach setzte er den Weinschlauch wieder an die Lippen und trank noch gieriger. »Aber um berühmt zu werden, musst du über die Dörfer ziehen und dort deine Vorstellungen geben.«
    »Jasin Goldkehle ist nie über die Dörfer gezogen«, behauptete Rojer.
    »Eben! Genau darauf will ich hinaus!«, brüllte Arrick und gestikulierte heftig. »Sein Onkel mag ja die Fäden in Angiers ziehen, aber auf dem Land kennt ihn keiner. Wenn wir dir erst einen Namen

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