Das Lied der Dunkelheit
Flussbrücke niederbrannte.
Wie der Geist seiner Mutter, der von dem Talisman ausging, so umhüllte auch dieses Lied Rojer, erinnerte ihn daran, welches Gefühl der Geborgenheit es in jener Nacht in ihm erzeugt hatte. Gewiss, Arrick war ein Feigling gewesen, aber er hatte Kallys Wunsch erfüllt, sich um ihn zu kümmern, obwohl er dadurch die Gunst des Herzogs verspielt und seine Karriere ruiniert hatte.
Er verstaute den Talisman wieder in der Geheimtasche und starrte hinaus in die Nacht, während über zehn Jahre alte Bilder in seinen Erinnerungen aufblitzten und er sich anstrengte, in ihnen einen Sinn zu erkennen.
Schließlich hörte Arrick auf zu singen; Rojer riss sich aus seinen Grübeleien und holte ihre Kochgeräte. In einer kleinen Pfanne brieten sie Würstchen und Tomaten, die sie zusammen mit hartem, krustigem Brot verzehrten. Nach dem Essen übten sie. Rojer holte seine Fiedel aus dem Gepäck, und Arrick benetzte seine Lippen mit den letzten Tropfen aus dem Weinschlauch. Sie setzten sich einander gegenüber und bemühten sich, die Horclinge zu ignorieren, die um den Zirkel herum pirschten.
Rojer begann zu spielen, und all seine Zweifel und Ängste fielen von ihm ab, als die Schwingungen der Saiten seine ganze Welt ausfüllten. Zum Einstimmen fiedelte er eine kleine Melodie, und als er bereit war, nickte er. Mit einem leisen Summen fiel Arrick ein und wartete auf das nächste Zeichen, ehe er anfing zu singen. Lange musizierten sie so in wohltuender Harmonie,
die sich bei ihnen durch jahrelanges Üben und unzählige Auftritte vervollkommnet hatte.
Nach einer Weile brach Arrick plötzlich ab und spähte in die Runde.
»Was ist los?«, fragte Rojer.
»Mir scheint, seit wir Musik machen, hat kein einziger Dämon mehr die Siegel attackiert«, wunderte sich Arrick.
Rojer hörte auf zu spielen und spähte angestrengt in die Nacht. Er stellte fest, dass Arrick Recht hatte, und fragte sich, wieso es ihm nicht schon früher aufgefallen war. Die Baumdämonen kauerten reglos um den Zirkel, doch als Rojer einem von ihnen in die Augen sah, sprang der Horcling ihn an.
Rojer schrie und zuckte zurück, während der Dämon auf die Siegel eindrosch und abgewehrt wurde. Überall flackerte nun die Magie auf, als die anderen Horclinge sich aus ihrer Trance lösten und zum Angriff übergingen.
»Es lag an der Musik«, stellte Arrick fest. »Die Musik hat sie in ihren Bann gezogen!«
Als Arrick Rojers verstörten Gesichtsausdruck sah, räusperte er sich und fing wieder an zu singen.
Seine Stimme war kräftig und trug weit, übertönte mit ihrem herrlichen Klang das Gebrüll der Dämonen, doch sie genügte nicht, um die Kreaturen in Schach zu halten. Im Gegenteil, die Horclinge kreischten nur umso lauter und hieben mit ihren Krallen auf die Barriere ein, als wollten sie ihn unbedingt zum Schweigen bringen.
Arricks buschige Augenbrauen zogen sich zusammen, und er stimmte eine andere Weise an; nun sang er das letzte Lied, das er zusammen mit Rojer geübt hatte, doch die Horclinge setzten ihre Angriffe auf die Siegel fort. Rojer hatte Angst. Was wäre, wenn die Dämonen eine schwache Stelle im Zirkel fänden, wie damals, als …
»Die Fiedel, Junge!«, brüllte Arrick. Verständnislos glotzte Rojer auf die Fiedel hinunter, die er immer noch in den Händen hielt. »Los, nun fang endlich an zu spielen, du Tropf!«, befahl Arrick.
Aber Rojers verkrüppelte Hand zitterte, und als er den Bogen ansetzte, entlockte er der Saite ein schrilles Quietschen, das klang, als würde man mit einem Fingernagel über eine Schiefertafel kratzen. Die Horclinge kreischten und wichen ein Stück zurück. Ermutigt, erzeugte Rojer noch schrägere und falschere Töne, wodurch die Dämonen immer weiter weggetrieben wurden. Sie heulten und griffen sich mit ihren Krallenhänden an die Köpfe, als litten sie Schmerzen.
Aber sie flüchteten nicht. Langsam rückten die Horclinge vom Zirkel ab, bis zu einer Entfernung, aus der sie die disharmonischen Töne ertragen konnten. Dort warteten sie, während sich in ihren schwarzen Augen der Schein des Lagerfeuers spiegelte.
Arrick hatte nicht übertrieben, als er behauptete, in den Dörfern würde man sie wie Helden behandeln. Die Einwohner von Kricketlauf leisteten sich keine eigenen Jongleure, und viele hatten Arrick noch aus der Zeit vor zehn Jahren in Erinnerung, als er als Herold des Herzogs aufgetreten war.
Es gab einen kleinen Gasthof, in dem Viehtreiber und Bauern, die ihre Produkte auf dem Markt
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