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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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größer als ein durchschnittlicher Mann, mit einer knotigen, borkeähnlichen Haut, die sich über den drahtigen, sehnigen Körper spannte. Die Kreatur sah ihr Feuer und fing an zu brüllen; als sie dabei den Kopf mit den Hörnern in den Nacken legte, entblößte sie mehrere Reihen scharfer Zähne. Der Dämon krümmte und streckte die Krallen, um sie für die Jagd geschmeidig zu machen. Andere Gestalten huschten am Rand des vom Feuer ausgehenden Lichtscheins umher und umringten sie langsam.
    Rojer warf einen raschen Blick auf Arrick, der kräftig am Weinschlauch nuckelte. Er hatte gehofft, dass sein Meister, der schon früher in tragbaren Zirkeln geschlafen hatte, die Ruhe bewahren würde, doch die Angst in Arricks Augen war unverkennbar. Mit bebenden Fingern griff Rojer in seine Geheimtasche,
zog den Talisman heraus und hielt ihn fest umklammert.
    Der Baumdämon senkte die Hörner und griff an, und in diesem Moment tauchte in Rojer eine lange unterdrückte Erinnerung auf. Plötzlich war er wieder drei Jahre alt und spähte über die Schulter seiner Mutter, während der Tod sie ereilte.
    Schlagartig war alles wieder da: Er sah, wie sein Vater nach dem Schürhaken griff und zusammen mit Geral die Stellung hielt, damit seine Mutter und Arrick mit ihm, Rojer, flüchten konnten; er sah Arrick, der sie zur Seite stieß, während er zum Fluchtloch hetzte. Er erinnerte sich an den Dämon, der ihm die Finger abbiss, und wie seine Mutter sich für ihn opferte.
    Ich hab dich lieb!
    Rojer klammerte sich an den Talisman und spürte den Geist seiner Mutter, der ihn umhüllte wie eine körperliche Präsenz. Er vertraute darauf, dass ihn das besser vor dem Angriff des Horclings schützen konnte als die Siegel.
    Der Dämon prallte mit voller Wucht gegen die Barriere. Rojer und Arrick zuckten zusammen, als die Magie aufloderte. Einen kurzen Moment lang zeichnete sich Gerals Netz als silbernes Feuer in der Luft ab, der Horcling wurde zurückgeschleudert und schien erst einmal völlig verblüfft zu sein.
    Doch die Erleichterung dauerte nicht lange. Der Lärm und das Licht erregten die Aufmerksamkeit anderer Baumdämonen, die einer nach dem anderen den Zirkel attackierten und das Netz von allen Seiten prüften.
    Aber Gerals lackierte Siegel hielten stand. Jeder Baumdämon wurde zurückgeschleudert, egal, ob ein Einzelner angriff oder eine ganze Gruppe. Zornig umkreisten sie das Lager, vergeblich nach Schwachstellen suchend.

    Doch selbst als die Horclinge wieder und wieder angriffen, befand sich Rojer im Geist an einem anderen Ort. Immer und immer wieder sah er seine Eltern sterben, sah, wie sein Vater verbrannte und seine Mutter den Flammendämon ertränkte, bevor sie ihren kleinen Sohn in das Fluchtloch hinunterschob. Und immerzu hatte er das Bild vor Augen, wie Arrick ihn und seine Mutter zur Seite stieß.
    Arrick hatte seine Mutter umgebracht. So eindeutig, als hätte er die Tat mit seinen eigenen Händen begangen. Rojer hob den Talisman an die Lippen und küsste dessen rotes Haar.
    »Wasch hälscht du da in der Hand?«, fragte Arrick leise, als sich abzeichnete, dass die Dämonen die Barriere nicht durchbrechen konnten.
    Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Rojer auf die Entdeckung seines Talismans mit einem Anflug von Panik reagiert, doch jetzt war er an einem anderen Ort, durchlebte einen Alptraum und versuchte verzweifelt herauszufinden, was das alles bedeutete. Seit mehr als zehn Jahren war Arrick wie ein Vater zu ihm gewesen. Konnten diese Erinnerungen wirklich wahr sein?
    Er öffnete die Hand und zeigte Arrick das winzige Holzpüppchen mit den grellroten Haaren. »Meine Mam«, erwiderte er.
    Traurig blickte Arrick auf die Puppe, und etwas in seiner Miene verriet Rojer alles, was er wissen wollte. Sein Gedächtnis trog ihn nicht. Zornige Worte lagen Rojer auf der Zunge, und er spannte die Muskeln an, bereit, sich auf seinen Meister zu stürzen, ihn aus dem Zirkel zu werfen und ihn den Horclingen zu überlassen.
    Arrick senkte den Blick und räusperte sich, dann fing er an zu singen. Seine Stimme, die durch die jahrelange Sauferei brüchig geworden war, gewann ein wenig von ihrem früheren Wohlklang zurück, als er ein sanftes Wiegenlied anstimmte,
eines, das Rojers Gedächtnis jedoch einen ähnlichen Anstoß gab wie der Anblick des Walddämons. Auf einmal erinnerte er sich wieder, wie Arrick ihn in genau dem Zirkel, in dem sie jetzt saßen, in den Armen gehalten und dasselbe Wiegenlied gesungen hatte, während das Dorf

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