Das Lied der Dunkelheit
verkauften, Quartier nahmen, wenn sie zwischen den Weilern Waldrand und Schäfertal hin und her pendelten. Hier hieß man Arrick und Rojer willkommen, und man gewährte ihnen freie Kost und Logis. Der ganze Ort erschien, wenn sie eine Vorstellung gaben, und die Unmengen Bier, die getrunken wurden, entschädigten den
Gastwirt mehr als reichlich für seine Großzügigkeit. Alles klappte wunderbar, bis es Zeit wurde, den Sammelhut herumzureichen.
»Ein Maiskolben!«, tobte Arrick und fuchtelte damit vor Rojers Gesicht herum. »Was sollen wir damit anfangen?«
»Wir könnten ihn zum Beispiel essen«, schlug Rojer vor. Sein Meister funkelte ihn wütend an und fuhr fort, in der Kammer hin und her zu stapfen.
Rojer hatte es in Kricketlauf gefallen. Die Leute dort waren schlicht und gutherzig, und sie verstanden es, ihr Leben zu genießen. In Angiers drängten sich die Menschen viel zu dicht an seine Fiedel heran, nickten mit den Köpfen und klatschten im Takt, doch er hatte noch nie erlebt, dass Menschen so versessen aufs Tanzen waren wie die Einwohner von Kricketlauf. Seine Fiedel steckte noch halb im Kasten, da rückten sie schon Bänke und Tische an die Wand, um Platz zu machen. Wenig später wirbelten und drehten sie sich, während sie ausgelassen lachten. Sie gingen völlig im Tanz auf, ließen sich von seiner Musik mitreißen, jedem beliebigen Rhythmus folgend.
Sie schämten sich nicht ihrer Tränen, wenn Arrick seine traurigen Balladen sang, und über seine zotigen Witze und anzüglichen Pantomimen brachen sie in hysterisches Gelächter aus. Rojer fand, ein besseres Publikum konnte man sich nicht wünschen.
Nach der Vorstellung skandierten sie in einer ohrenbetäubenden Lautstärke »Honigstimme« und »Achtfinger«. Man überschüttete sie mit Angeboten, sich irgendwo einzuquartieren, und Wein und Essen gab es in Hülle und Fülle. Zwei schwarzäugige Mädchen aus dem Dorf entführten Rojer hinter einen
Heuhaufen und verwöhnten ihn mit Küssen, bis ihm schwindlig wurde.
Arrick zeigte sich weniger begeistert.
»Wie konnte ich nur vergessen, wie es auf dem Land zugeht?«, jammerte er.
Natürlich bezog er sich auf den Sammelhut. In den Dörfern war so gut wie kein Geld in Umlauf. Die wenigen Münzen, die man besaß, gab man für so notwendige Dinge wie Saatgut, Werkzeug und Siegelpfosten aus. Zwei hölzerne Klats lagen ganz unten im Hut, aber das hätte nicht mal für den Wein gereicht, den Arrick seit ihrem Aufbruch aus Angiers getrunken hatte. Meistens bedankten sich die Dörfler für eine Vorstellung mit Getreide, mitunter opferten sie auch einen Beutel Salz oder Gewürze.
»Tauschhandel!« Arrick spuckte das Wort aus, als sei es ein Fluch. »Kein Winzer in Angiers gibt dir etwas für einen Sack Gerste!«
Aber die Dörfler hatten nicht nur mit Getreide bezahlt. Sie schenkten gesalzenes Fleisch und frisch gebackenes Brot, ein Horn voll dicker, cremiger Sahne und einen Korb mit Obst. Warme Steppdecken. Lederflicken zum Ausbessern ihrer Stiefel. Alles, was sie an Waren erübrigen oder an Hilfeleistungen erbringen konnten, boten sie voll Dankbarkeit an. Seit ihrer Verbannung aus dem herzoglichen Palast hatte Rojer nicht mehr so gut gegessen, und den Groll seines Meisters konnte er beim besten Willen nicht verstehen. Was hätten sie denn mit Geld anfangen sollen, außer exakt die Sachen zu kaufen, mit denen die Dörfler sie überhäuften?
»Wenigschtens ham wir Wein«, nuschelte Arrick. Nervös beäugte Rojer den Schlauch, aus dem sich sein Meister nun großzügig bediente; er wusste, dass der übermäßige Genuss von Alkohol Arricks gedrückte Stimmung nur verstärken würde, aber
er sagte nichts. Keine noch so große Menge Wein konnte Arrick tiefer in Verzweiflung stürzen als die Anspielung, er solle nicht so viel trinken.
»Mir hat es hier gut gefallen«, wagte Rojer zu äußern. »Schade, dass wir nicht länger bleiben können.«
»Was weischt du schon?«, schnauzte Arrick. »Du bisch doch nur’n dummer Junge!« Er stöhnte, als hätte er Schmerzen. »In Waldrand wird es auch nich’ besser sein«, unkte er, »unin Schafscherertal wirdsch ersch am schlimmsten! Wasch hab ich mir nur dabei gedacht, alsch ich dieschen blöden Zschirkel behalten habe?«
Mit dem Fuß trat er gegen die kostbaren Tafeln des tragbaren Zirkels, sodass die Siegel kreuz und quer lagen, aber er schien es entweder nicht zu bemerken oder nicht sehen zu wollen, während er betrunken um das Feuer torkelte.
Rojer schnappte entsetzt
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