Das Lied der Dunkelheit
Krallen immer wieder nach Arlen.
Doch Arlen hatte den Horcling fest im Griff, und er dachte nicht daran, ihn loszulassen. Je länger er den Kopf des Horclings
umklammerte, umso stärker wurde das Prickeln in seinen Händen, als gewänne die magische Energie an Kraft. Er drückte noch härter zu, und zu seiner Verblüffung merkte er, dass sich der Abstand zwischen seinen Händen langsam verringerte, als würde der Schädel des Horclings weicher, bis er sich schließlich zu verflüssigen schien.
Die Abwehr des Dämons ließ allmählich nach, und Arlen wälzte sich auf die Seite, um noch einmal mit voller Wucht die Hände zusammenzudrücken. Kraftlos schlossen sich die Krallen des Horclings um seine Arme, in dem Versuch, die Umklammerung zu lösen, aber es half nichts. Noch einmal spannte Arlen seine Muskeln an, und zwischen seinen Händen zerplatzte der Kopf des Horclings in einer Fontäne aus Schleim und Blut.
24
Nadeln und Tinte
328 NR
In dieser Nacht fand Arlen keine Ruhe, doch brachte ihn nicht das schmerzhafte Pochen in seinen Wunden um den Schlaf. Sein Leben lang hatte er von den Helden aus den Erzählungen der Jongleure geträumt, sich vorgestellt, wie sie ihre Rüstungen anlegten und mit magischen Waffen gegen die Horclinge kämpften. Als er den Speer fand, hatte er geglaubt, diesen Traum verwirklichen zu können. Doch als er sich schon am Ziel seiner Wünsche wähnte, war er in einen tiefen Abgrund gestürzt, nur um eine völlig neue Entdeckung zu machen.
Nichts, nicht einmal die Nacht in dem Labyrinth, als er sich unbesiegbar fühlte, war mit diesem Erlebnis zu vergleichen; mit bloßen Händen hatte er einen Horcling besiegt, und das Prickeln gespürt, als seine Magie dessen Leben beendete. Er gierte danach, das noch einmal zu erleben, und dieser Hunger ließ all seine früheren Wünsche in einem völlig neuen Licht erscheinen.
Während er an seinen letzten Aufenthalt in Krasia dachte, vergegenwärtigte sich Arlen, dass er keineswegs so edelmütig war, wie er geglaubt hatte. Was immer er versucht hatte sich einzureden, er hatte immer mehr sein wollen als nur ein Waffenschmied
oder ein Krieger unter vielen. Er hatte sich Ruhm gewünscht, Anerkennung und Ansehen. Er wollte in die Geschichte eingehen als der Mann, der den Menschen ihren Kampfgeist zurückgegeben hatte.
Vielleicht sogar als der Erlöser?
Die Vorstellung beunruhigte ihn. Kein einzelner Mann konnte die Menschheit retten, alle mussten mitmachen.
Aber wollten die Menschen überhaupt gerettet werden? Verdienten sie die Erlösung? Arlen war sich nicht mehr so sicher. Männer wie sein Vater hatten den Willen zu kämpfen verloren, es genügte ihnen, sich hinter Siegeln zu verstecken. Und was Arlen in Krasia erlebt hatte, was er in sich selbst entdeckte, warf in ihm die Frage auf, wie es um die Männer bestellt war, die den Kampf suchten.
Aber zwischen Arlen und den Dämonen konnte es nie Frieden geben. Nun, da er wusste, dass es einen Weg gab, um die Horclinge zu vernichten, war es für ihn ausgeschlossen, sich hinter seinen Siegeln zu verschanzen und den tanzenden Dämonen einfach zuzusehen. Doch wer würde sich ihm anschließen und an seiner Seite kämpfen? Jeph hatte ihn wegen seiner Ansichten geschlagen. Elissa hatte mit ihm geschimpft. Mery hatte sich von ihm losgesagt. Die Krasianer hatten versucht, ihn zu töten.
Seit jener Nacht, als er gesehen hatte, wie Jeph von seiner geschützten Veranda aus tatenlos der grausamen Verstümmelung seiner Frau zuschaute, wusste Arlen, dass die stärkste Waffe der Horclinge die Angst war. Damals hatte er nur noch nicht verstanden, dass Furcht viele Formen annehmen konnte. Trotz seiner Bemühungen, sich das Gegenteil zu beweisen, fürchtete sich Arlen vor dem Alleinsein. Er sehnte sich danach, dass irgendjemand, ganz gleich wer, an das glaubte, was er tat. Er wünschte sich jemanden, der gemeinsam mit ihm kämpfte, und für den es sich zu kämpfen lohnte.
Aber er hatte niemanden. Das wurde ihm jetzt unmissverständlich klar. Wenn er Gesellschaft suchte, dann musste er in die Städte zurückkehren und die Menschen so akzeptieren, wie sie waren. Wenn er kämpfen wollte, dann war er auf sich allein gestellt.
Die Euphorie und das Gefühl von Stärke flauten ab. Langsam beugte er sich nach vorn, umschlang mit den Armen seine Knie und starrte hinaus in die Wüste, auf der Suche nach einem Weg, den es nicht gab.
Arlen stand in aller Frühe auf und tappte zum Teich, um seine Wunden
Weitere Kostenlose Bücher