Das Lied der Dunkelheit
versunken war, tauchten die Dämonen auf. Sie kamen in Scharen nach Anochs Sonne, trotz des Mangels an Beute. Vielleicht hofften sie, die Ruinen könnten eines Tages noch mehr Menschen anlocken, oder es bereitete ihnen ganz einfach Vergnügen, einen Ort zu beherrschen, der ihresgleichen einstmals getrotzt hatte.
Arlen stand auf, trat an den Rand seiner Siegel und sah zu, wie die Horclinge im Mondlicht tanzten. Sein Magen knurrte, und nicht zum ersten Mal machte er sich Gedanken über die Natur der Dämonen. Sie waren magische Kreaturen, scheinbar unsterblich und nicht menschlich. Sie zerstörten, aber sie erschufen nichts. Selbst ihre Körper verbrannten zu Asche, anstatt zu verfaulen und die Erde zu düngen. Doch er hatte sie beim Fressen beobachtet, beim Pissen und Scheißen. Befanden sie sich wirklich ganz und gar außerhalb der natürlichen Ordnung?
Ein Sanddämon zischte ihn an. »Was bist du?«, fragte Arlen, doch die Kreatur schlug nur gegen die Siegel, grollte frustriert und stelzte davon, als die Symbole aufblitzten.
Arlen schaute dem Dämon hinterher, und seine Gedanken verfinsterten sich. »Zum Horc mit dir«, murmelte er und sprang aus der Sicherheit der Siegel heraus. Als der Dämon sich umdrehte, verpasste Arlen ihm einen Schlag mit seinen tätowierten Fingerknöcheln. Seine Hiebe prasselten wie ein Gewitter auf den überrumpelten Horcling ein. Ehe dieser wusste, wie ihm geschah, lag er tot am Boden.
Der Lärm lockte andere Horclinge an, doch sie bewegten sich voller Argwohn. Es gelang Arlen, in das Gebäude zurückzulaufen und die Siegel lange genug zu verdecken, dass er sein Opfer durch die Barriere schleifen konnte.
»Mal sehen, ob ich mit dir vielleicht doch noch etwas anfangen kann«, zischte er der toten Kreatur zu. Mithilfe von Schneidesymbolen, die auf ein scharfkantiges Stück Obsidian gemalt waren, schlitzte er den Sanddämon auf und entdeckte zu seiner Überraschung, dass das Fleisch unter dem harten Panzer genauso weich und verletzlich war wie sein eigenes. Muskeln und Sehnen waren zäh, aber auch nicht härter als die anderer Tiere.
Die Kreatur verbreitete einen bestialischen Gestank. Das schwarze, eitrige Sekret, das bei den Dämonen das Blut ersetzte, stank so entsetzlich, dass Arlen die Augen tränten und er würgen musste. Mit angehaltenem Atem säbelte er ein Stück Fleisch von der Kreatur und schüttelte es heftig, um die überschüssige Flüssigkeit daraus zu entfernen, bevor er es über ein kleines Feuer hielt. Das Sekret qualmte und verbrutzelte schließlich, und der Gestank des schmorenden Fleisches wurde unerträglich.
Als das Fleisch durchgebraten war, hielt Arlen den schwarzen, fauligen Brocken hoch; auf einmal spulte sich die Zeit zurück, er befand sich wieder in Tibbets Bach und hörte die Worte der schmucken Coline. An jenem Tag hatte er einen Fisch
gefangen, doch die Schuppen waren braun und stumpf. Die Kräutersammlerin hatte ihn aufgefordert, den Fisch ins Wasser zurückzuwerfen. »Iss nie etwas, das krank aussieht«, hatte Coline ihm geraten. »Was du in deinen Mund steckst, wird ein Teil von dir.«
Wird das hier auch ein Teil von mir werden?, fragte er sich. Er betrachtete das Fleisch, nahm all seinen Mut zusammen und schob es sich in den Mund.
Teil IV
Das Tal der Holzfäller
331 - 332 Nach der Rückkehr
25
Ein neuer Schauplatz
331 NR
Der Regen schwoll an zu einem Wolkenbruch, und Rojer legte an Tempo zu, während er sein Pech verfluchte. Zwar hatte er seit einiger Zeit geplant, das Dorf Schäfertal zu verlassen, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Aufbruch derart überstürzt und unter so unerfreulichen Umständen stattfinden würde.
Dem Schäfer durfte er eigentlich keinen Vorwurf machen. Gewiss, der Mann hatte mehr Zeit bei seiner Herde als bei seiner Frau verbracht, und sie hatte den ersten Schritt getan; aber wenn ein Mann früh nach Hause kam, um sich vor dem Regen zu schützen, und seine Frau mit einem jungen Burschen im Bett erwischte, konnte man nicht mit Nachsicht rechnen.
Insofern war er dankbar für diesen Regen. Bei besseren Wetterbedingungen hätte der Mann vielleicht die Hälfte der männlichen Dorfbewohner zusammengetrommelt, um ihn zu verfolgen. Die Männer von Schäfertal neigten zur Eifersucht; wahrscheinlich, weil sie ihre Frauen oft allein ließen, wenn sie mit den wertvollen Herden Weideplätze suchten. Schäfer nahmen alles sehr ernst, was mit ihren Herden und Frauen zu tun hatte. Wer in dieser Hinsicht
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