Das Lied der Dunkelheit
verzichten«, lenkte er ein und warf seinen Gefährten einen hektischen Blick zu. Sogar der Hüne war vor Angst blass geworden. Sie hielten ihre Waffen bereit, doch sie lavierten vorsichtig um das riesige Pferd herum und setzten eilig ihren Weg fort.
»Auf dieser Straße solltest du dich lieber nicht mehr blicken lassen!«, brüllte der Schwarzbärtige, als sie sich in sicherer Entfernung von dem Fremden befanden.
Der ritt seelenruhig weiter.
Rojer kämpfte gegen seine Panik an, als die Stimmen der Männer verhallten. Sie hatten ihm gedroht, ihn umzubringen, wenn er noch einmal versuchte, aufzustehen. Er griff in seine Geheimtasche, um seinen Talisman herauszuziehen, doch er fand nur ein paar Bruchstücke von Holz und einen Klumpen gelblich grauer Haare. Der Talisman musste zerbrochen sein, als
der Stumme ihn in den Bauch getreten hatte. Er ließ die Überreste aus seinen tauben Fingern in den Dreck fallen.
Leeshas Schluchzen zerriss ihm das Herz, und er hatte Angst, hochzublicken. Einmal hatte er diesen Fehler gemacht, als der Hüne von seinem Rücken aufstand, weil er an der Reihe war, sich mit Leesha zu vergnügen. Einer der anderen Kerle hatte rasch seinen Platz eingenommen, weil sie Rojers Rücken als Sitzbank benutzten, um von dort aus den Spaß zu beobachten.
In den Augen des Hünen war kaum ein Funke Intelligenz zu erkennen, doch obwohl er den Sadismus seiner Kumpane nicht teilte, war seine dumpfe Lust genauso entsetzlich; tierische Triebe, die im Körper eines Felsendämons hausten. Wenn Rojer das Bild, wie er sich über Leesha hermachte, aus seinem Gedächtnis hätte löschen können, indem er sich selbst die Augen ausriss, hätte er keine Sekunde gezögert.
Er war ein Narr gewesen, als er ihnen ihren Weg verriet, und welche Kostbarkeiten sie mit sich führten. Während seiner langen Aufenthalte in den Dörfern des Westens hatte er sein natürliches, in einer Großstadt erworbenes Misstrauen Fremden gegenüber verloren.
Marko Herumtreiber hätte ihnen nicht vertraut, dachte er.
Aber das stimmte nicht ganz. Marko wurde ständig überlistet oder bekam einen Schlag mit der Keule auf den Kopf, um dann für tot gehalten und liegen gelassen zu werden. Er überlebte, indem er später gewitzt genug war, die Situation zu seinen Gunsten zu wenden.
Er überlebt, weil es eine Geschichte ist und du das Ende selbst gestaltest, verbesserte sich Rojer.
Doch die Vorstellung, wie Marko Herumtreiber sich hochrappelte und sich den Staub von den Sachen klopfte, ließ ihm keine Ruhe, und schließlich raffte Rojer seine ganze Kraft und
seinen Mut zusammen und hievte sich auf die Knie. Schmerzen durchzuckten ihn, aber er glaubte nicht, dass etwas gebrochen war. Sein linkes Auge war so geschwollen, dass er damit kaum sehen konnte, und im Mund schmeckte er Blut, das wohl von seiner dicken Lippe stammte. Überall am Körper hatte er Prellungen, doch Abrum hatte ihn noch übler zugerichtet.
Dieses Mal eilten keine Stadtwächter herbei, um ihn in Sicherheit zu bringen. Da war keine liebende Mutter oder ein Meister, um sich für ihn aufzuopfern. Keiner konnte sich zwischen ihn und die Horclinge stellen.
Leesha wimmerte wieder, und er fühlte sich unglaublich schuldig. Er hatte gekämpft, um ihre Ehre zu retten, aber sie waren zu dritt gewesen, alle bewaffnet, und viel stärker als er. Was hätte er ausrichten können?
Ich wünschte, sie hätten mich umgebracht, dachte er, und sackte in sich zusammen. Besser tot, als so etwas mitansehen zu müssen …
Feigling, zischte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Steh auf! Sie braucht dich!
Taumelnd kam Rojer auf die Füße und sah sich um. Leesha lag zusammengekrümmt im Staub der Waldstraße und schluchzte; ihr fehlte sogar die Kraft, ihre Scham zu bedecken. Von den Banditen war keine Spur zu sehen.
Obwohl das kaum eine Rolle spielte. Sie hatten seinen Kurierzirkel mitgenommen, und ohne ihn waren Leesha und er so gut wie tot. Bauerngarten lag fast eine volle Tagesreise hinter ihnen, und wenn sie auf der Straße weiterliefen, dauerte es mehrere Tage, bis sie eine Ansiedlung erreichten. Und in einer guten Stunde wurde es dunkel.
Rojer rannte zu Leesha hin und fiel neben ihr auf die Knie. »Leesha, was ist?«, fragte er und verwünschte sich, als ihm die Stimme versagte. Um Leeshas willen musste er stark sein.
»Leesha, bitte, antworte mir«, flehte er und drückte ihre Schulter.
Leesha reagierte nicht. Zitternd, in gekrümmter Haltung, lag sie da und weinte. Rojer streichelte
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