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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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sollen wir tun?«
    »Ich zeichne einen Zirkel in den Boden«, erklärte Rojer. »Es wird schon gutgehen. Ich mache alles richtig«, versprach er.
    »Weißt du denn überhaupt, wie man einen Zirkel anlegt?«, fragte sie skeptisch.
    »Natürlich … ich glaube schon«, erwiderte Rojer lahm. »Den Kurierzirkel hatte ich schon seit Jahren. Ich kann mich an die Symbole erinnern.« Er nahm einen Stock und fing an, Linien in den Boden zu ritzen; während er arbeitete, blickte er immer wieder zum dunkler werdenden Himmel empor.
    Ihretwegen wollte er tapfer sein. Leesha sah Rojer an und hatte plötzlich Gewissensbisse, weil sie ihn in diese Situation hineingezogen hatte. Er behauptete, er sei zwanzig, aber sie wusste, dass er log, er war um einige Jahre jünger. Sie hätte ihn niemals auf eine so gefährliche Reise mitnehmen dürfen.
    Er sah jetzt fast so aus wie in der Nacht, als er zu ihr ins Hospital gebracht worden war; das Gesicht blau geschlagen und angeschwollen, und aus Mund und Nase sickerte Blut. Mit dem Ärmel wischte er es ab und tat so, als mache es ihm nichts aus. Leesha wusste, dass er schauspielerte, und dass er sich genauso fürchtete wie sie, trotzdem fand sie seine Bemühungen tröstlich.

    »Ich glaube nicht, dass das so richtig ist«, kommentierte sie mit einem Blick über seine Schulter.
    »Ist es aber!«, schnappte Rojer.
    »Die Horclinge werden sich bestimmt darüber freuen!«, schoss sie zurück, weil sie sich über seinen Ton ärgerte, »denn damit werden sie spielend fertig.« Ängstlich spähte sie in die Runde. »Wir könnten auf einen Baum klettern«, schlug sie vor.
    »Horclinge können besser klettern als wir«, widersprach er.
    »Und wenn wir uns ein Versteck suchen?«
    »Wir haben lange genug nach einem Unterschlupf gesucht und keinen gefunden«, erinnerte er sie. »Die Zeit reicht kaum, um diesen Zirkel zu zeichnen, aber darin sind wir sicher.«
    »Das bezweifle ich«, widersprach Leesha mit einem vielsagenden Blick auf die zittrigen Linien im Boden.
    »Wenn ich doch nur meine Fiedel hätte …«, begann Rojer.
    »Jetzt komm mir nicht wieder mit diesem Mist!«, schnauzte Leesha ihn an. Je mehr die Zeit drängte, umso gereizter wurde sie, und ihr wachsender Ärger ließ sogar ihre Angst und die Demütigung in den Hintergrund treten. »Am helllichten Tag vor jungen Mädchen damit zu prahlen, dass du die Dämonen mit deiner Fiedel verhexen kannst, ist eine Sache. Aber was hast du davon, wenn du diese Lüge mit ins Grab nimmst?«
    »Ich lüge nicht!«, wehrte sich Rojer.
    »Na schön. Wenn du es sagst«, seufzte Leesha und verschränkte die Arme.
    »Ich mache alles richtig«, behauptete Rojer abermals.
    »Beim Schöpfer, kannst du nicht ein einziges Mal aufhören zu lügen?«, kreischte Leesha. »Du wirst es nicht richtig machen, und das weißt du ganz genau. Horclinge sind keine Banditen, Rojer! Sie geben sich nicht damit zufrieden, zu …« Sie blickte auf ihre zerrissenen Röcke und brach ab.

    Rojers Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an, und sie merkte, dass sie zu grob gewesen war. Sie wollte einfach nur wild um sich schlagen, und es war leicht, Rojer mit seiner Angeberei für alles verantwortlich zu machen. Aber im Grunde wusste sie, dass sie an dieser Katastrophe mehr Schuld hatte als er. Denn nur ihretwegen hatte er Angiers verlassen.
    Sie blickte auf den dunklen Himmel und fragte sich, ob sie noch genug Zeit haben würde, um sich bei Rojer zu entschuldigen, bevor sie beide in Stücke gerissen würden.
    Als sich hinter ihnen im Dickicht etwas bewegte, wirbelten beide erschrocken herum. Ein Mann in grauen Gewändern betrat die Lichtung. Sein Gesicht wurde von einer Kapuze überschattet, und obwohl er keine Waffen trug, erkannte Leesha an seiner Haltung, dass von ihm Gefahr ausging. Wenn Marick ein Wolf war, dann war dieser Mann ein Löwe.
    Sie wappnete sich für einen Angriff, den Überfall durch die drei Kerle noch frisch im Gedächtnis, und fragte sich einen Moment lang ernsthaft, was wohl schlimmer wäre: Noch eine Vergewaltigung oder die Dämonen.
    Rojer schnellte in die Höhe, packte sie beim Arm und schob sie hinter seinen Rücken. Seinen Zeichenstock schwenkte er wie einen Speer, und sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse.
    Der Mann beachtete weder Rojer noch Leesha, sondern kam herüber, um Rojers Zirkel zu begutachten. »Da, da und da sind Lücken im Netz«, erklärte er und zeigte mit dem Finger auf die betreffenden Stellen. »Und das hier«, mit dem Fuß

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