Das Lied der Dunkelheit
verbrennen.
Der Tätowierte Mann kam auf sie zu. Die Leute tuschelten beim Anblick der in ein Kapuzengewand gehüllten Gestalt, die viele nun zum ersten Mal richtig wahrzunehmen schienen.
»Du wirst es nicht nur mit Baumdämonen zu tun bekommen«, griff er den Faden auf. »Flammendämonen werden sich voller Begeisterung im Feuer suhlen, und die Winddämonen segeln in großer Höhe darüber hinweg. Die Zerstörung des Dorfes hat vielleicht sogar Felsendämonen aus den Bergen angelockt. Nach Sonnenuntergang lassen sie dann nicht lange auf sich warten.«
»Wir werden alle sterben!«, kreischte Ande, und Leesha merkte, wie die Menschen langsam in Panik gerieten.
»Was kümmert dich das?«, fragte sie den Tätowierten Mann. »Du hast dein Versprechen gehalten und uns hierhergebracht! Schwing dich wieder auf dein Ross, das aussieht, als sei es dem Horc entsprungen, und zieh deiner Wege! Was aus uns wird, geht dich nichts mehr an!«
Doch der Mann schüttelte den Kopf. »Ich habe einen Eid geschworen, den Horclingen nichts zu überlassen, und ich will nicht wieder wortbrüchig werden. Eher soll der Horc mich selbst holen, als dass ich seiner dämonischen Brut das Tal der Holzfäller überlasse.«
Er wandte sich der Menge zu und streifte die Kapuze ab. Man hörte erschrockene und angstvolle Rufe, doch zumindest
in diesem Augenblick war die aufkeimende Panik eingedämmt. Der Tätowierte Mann erkannte dies und nutzte den Umstand aus. »Wenn die Horclinge heute Nacht das Heilige Haus angreifen, stelle ich mich ihnen entgegen und kämpfe!«, verkündete er. Die Leute stießen leise Schreie aus, und in vielen Augen lag ein Blick, der verriet, dass die Menschen wussten, wer vor ihnen stand. Selbst bis hierher waren Geschichten von dem Tätowierten Mann vorgedrungen, der Horclinge tötete.
»Ist jemand unter euch, der mir hilft?«, fragte er in die Runde.
Zweifelnd sahen die Männer einander an. Frauen griffen nach ihren Armen und beschworen sie mit Blicken, nichts Unbedachtes zu sagen.
»Was könnten wir schon ausrichten, außer von den Dämonen zerfetzt zu werden?«, schrie Ande. »Es gibt nichts, womit man einen Horcling töten könnte!«
»Du irrst dich«, widersprach der Tätowierte Mann, ging mit langen Schritten zu seinem Pferd und löste ein Bündel vom Sattel. »Sogar einem Felsendämon kann man den Garaus machen!« Er wickelte einen langen, gebogenen Gegenstand aus seiner Stoffhülle und warf ihn den Dörflern vor die Füße.
Von dem abgebrochenen Ende bis zu der scharfen Spitze war er drei Fuß lang; mit der glatten Oberfläche und der hässlichen gelbbraunen Färbung glich er einem riesigen, verfaulten Zahn. Noch während die Leute verwundert dieses seltsame Ding anstarrten, sickerte ein schwacher Sonnenstrahl durch die Wolkendecke und fiel darauf. Obwohl das Ding halb im Schlamm eingesunken war, fing es der Länge nach an zu qualmen, und die darauftreffenden Regentropfen verdampften.
Im nächsten Moment ging das Horn des Felsendämons in Flammen auf.
»Jeder Dämon kann getötet werden!«, donnerte der Tätowierte Mann, zog einen Speer aus der Halterung am Sattel und
schleuderte ihn, sodass er in dem brennenden Horn steckenblieb. Ein greller Blitz zuckte auf, und das Horn zerplatzte in einem Funkenschauer wie einer der Feuerwerkskörper, die man bei Festen abbrannte.
»Gnädiger Schöpfer«, hauchte Jona und zeichnete mit der Hand ein Siegel in die Luft. Die meisten Dörfler folgten seinem Beispiel.
Der Tätowierte Mann verschränkte die Arme über der Brust. »Ich kann Waffen herstellen, die die Horclinge töten, aber ohne Arme, die sie führen, sind sie nutzlos. Deshalb frage ich euch noch einmal, ob mir jemand helfen wird!«
Eine längere Stille trat ein. Dann rief jemand: »Ja, ich!« Der Tätowierte Mann drehte sich um, und zu seiner Überraschung trat Rojer vor und stellte sich an seine Seite.
»Ich ebenfalls!« Yon Gray machte einen Schritt nach vorn. Er stützte sich schwer auf seinen Stock, doch in seinem Blick lagen Mut und Entschlossenheit. »Über siebzig Jahre lang habe ich gesehen, wie sie kamen und sich einen nach dem anderen aus unserem Dorf holten. Sollte diese Nacht meine letzte sein, dann kann ich vor meinem Tod wenigstens noch einem Horcling in die Augen spucken!«
Die anderen Leute standen wie vom Donner gerührt da, doch dann löste sich Gared aus ihren Reihen.
»Gared, du Idiot, was machst du da?«, kreischte Elona und wollte ihn am Arm zurückzerren. Aber der hünenhafte
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