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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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niedergebrannt war. Nach Luft ringend, drückte er mit der Hand auf seine Geheimtasche, ehe ihm einfiel, dass sein Talisman zerbrochen war. Das Pferd scheute, und er legte seine Hand rasch wieder auf Leeshas Taille, um nicht abgeworfen zu werden.
    Sie sahen, wie in der Ferne Menschen planlos umherirrten. »Warum versuchen sie nicht, die Feuer zu löschen?«, fragte Leesha, aber darauf wusste Rojer keine Antwort.
    Als sie das Dorf erreichten, zügelten sie ihre Pferde und betrachteten wie betäubt das Bild der Zerstörung. »Einige der Gebäude müssen schon seit ein paar Tagen brennen«, bemerkte
der Tätowierte Mann und deutete mit dem Kinn auf die Trümmer einstmals hübscher Häuser. Viele der Gebäude waren verkohlte Ruinen, aus denen dünne Rauchfahnen aufstiegen, andere wiederum bestanden nur noch aus Haufen kalter Asche. Smitts Gasthof, das einzige Gebäude im Ort, das über zwei Stockwerke verfügte, war eingestürzt, und einige der Balken brannten noch lichterloh; bei anderen Häusern fehlten die Dächer oder ganze Wände.
    Während sie tiefer in das Dorf hineinritten, betrachtete Leesha die schmutzigen und verweinten Gesichter der Menschen; sie erkannte jeden Einzelnen. Alle waren zu sehr in ihrem Kummer versunken, um von der kleinen Gruppe, die an ihnen vorbeiritt, Notiz zu nehmen. Sie biss sich auf die Lippe, damit sie nicht selbst in Tränen ausbrach.
    Mitten im Ort hatten die Dörfler die Toten gesammelt. Bei dem Anblick verkrampfte sich Leeshas Herz; dort lagen mindestens einhundert Leichen aufgetürmt, und man hatte sie nicht einmal mit Tüchern bedeckt. Der arme Niklas. Saira und ihre Mutter. Der Fürsorger Michel. Steave. Kinder, die sie nie gesehen hatte, und ältere Menschen, die sie von klein auf kannte. Einige wiesen Brandwunden auf, andere waren von Horclingen verletzt worden. Bei den meisten fehlten jedoch Spuren irgendeiner äußeren Einwirkung. Sie waren am Schleimfluss gestorben.
    Mairy kniete neben dem Leichenberg und weinte über einem kleinen Bündel. Leesha merkte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte; irgendwie schaffte sie es, vom Pferd abzusteigen und sich ihr zu nähern. Sanft legte sie eine Hand auf Mairys Schulter.
    »Leesha?«, fragte Mairy in ungläubigem Staunen. Im nächsten Moment sprang sie auf die Füße, fiel der Kräutersammlerin in die Arme und fing herzzerreißend an zu schluchzen.

    »Es ist Elga«, weinte Mairy. Ihr jüngstes Kind, ein nicht einmal zweijähriges Mädchen. »Sie … sie ist von uns gegangen.«
    Leesha drückte sie fest an sich und murmelte tröstende Laute, weil ihr die Worte fehlten. Andere Leute erkannten sie, hielten jedoch respektvoll Abstand, während Mairy ihrem Schmerz freien Lauf ließ.
    »Leesha«, tuschelten die Dörfler. »Leesha ist gekommen. Dem Schöpfer sei Dank!«
    Schließlich gewann Mairy ihre Fassung wieder, rückte von Leesha ab und hob ihre schmuddelige, fleckige Schürze an, um sich damit die Tränen zu trocknen.
    »Was ist passiert?«, fragte Leesha freundlich. Mairy sah sie an, und ihre weit aufgerissenen Augen füllten sich wieder mit Tränen. Sie zitterte so stark, dass sie nicht sprechen konnte.
    »Die Seuche«, hörte sie eine vertraute Stimme. Leesha drehte sich um und sah Jona, der sich ihnen näherte, wobei er sich schwer auf einen Stock stützte. Eine Beinröhre seines Fürsorgergewandes hatte man abgeschnitten; der daraus ragende Unterschenkel war geschient und mit blutigen Verbänden umwickelt. Leesha umarmte ihn und warf einen fragenden Blick auf das Bein.
    »Ich habe mir den Unterschenkel gebrochen«, erklärte er und wedelte nachlässig mit der Hand. »Vika hat mich behandelt.« Seine Miene verfinsterte sich. »Es war das Letzte, was sie tat, ehe sie selbst ein Opfer wurde.«
    Leesha sah ihn erschrocken an. »Vika ist tot?«, fragte sie entsetzt.
    Jona schüttelte den Kopf. »Noch lebt sie, aber der Schleimfluss setzt ihr arg zu, und sie hat so hohes Fieber, dass sie fantasiert. Lange macht sie es nicht mehr.« Er spähte in die Runde. »Wir anderen sind auch nicht viel besser dran«, fuhr er so leise fort, dass nur Leesha ihn hören konnte. »Ich fürchte, für deine
Rückkehr hast du dir einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, Leesha, aber vielleicht gehört das auch zum Plan des Schöpfers. Hättest du noch einen Tag länger gewartet, hättest du vielleicht niemanden mehr angetroffen.«
    Leeshas Züge verhärteten sich. »Von diesem Unsinn will ich nichts mehr hören!«, schimpfte sie. »Wo ist Vika?« Sie drehte

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