Das Lied der Dunkelheit
Stöpsel war aus Glas und wurde mit einem gezwirbelten dünnen Drahtnetz an seinem Platz gehalten.
»Auf Fett und Öl rutschen sie aus«, murmelte sie, immer noch in dem Regal kramend. »Und das brennt selbst bei Regen noch lichterloh …« Als Nächstes gab sie ihm zwei ramponierte, mit Wachs versiegelte Tonkrüge.
Es folgten Donnerstöcke, die man normalerweise benutzte, um widerspenstige Baumstümpfe aus dem Boden zu sprengen, und eine Kiste mit Brunas Feuerwerkskörpern: Schwärmer, Feuerpfeifen und Fliegende Knaller.
Zum Schluss ging sie mit ihm zu einem großen Wasserfass im hintersten Winkel des Kellers.
»Mach es auf«, befahl Leesha dem Tätowierten Mann. »Aber ganz vorsichtig!«
Er hob den Deckel ab und sah vier Keramikkrüge, die sanft im Wasser dümpelten. Voller Neugier sah er Leesha an.
»Das hier«, erklärte sie, »ist flüssiges Dämonenfeuer.«
Es dauerte nur wenige Minuten, bis Schattentänzer sie auf seinen mächtigen Hufen zum Haus von Leeshas Vater gebracht hatte. Wieder spürte sie eine Anwandlung von Nostalgie, und wieder unterdrückte sie ihre Gefühle. Wie viele Stunden noch bis Sonnenuntergang? Nicht viele, das war sicher.
Mittlerweile trudelten die Kinder und die alten Leute ein und versammelten sich im Hof. Brianne und Mairy hatten sie bereits an die Arbeit geschickt, sie sollten von überallher Werkzeuge holen. Mit stumpfen Augen beobachtete Mairy die Kinder. Es war nicht leicht gewesen, sie dazu zu überreden, ihre beiden Sprösslinge im Heiligen Haus zurückzulassen, doch zuletzt siegte die Vernunft. Der Vater der Kinder blieb bei ihnen, und wenn die Dinge nicht gut liefen, würden die anderen Kinder ihre Mütter brauchen.
Bei ihrer Ankunft stürmte Elona aus dem Haus.
»War das deine Idee?«, herrschte sie Leesha an. »Mein Haus in eine Scheune zu verwandeln?«
Leesha schob sich einfach an ihr vorbei, den Tätowierten Mann an ihrer Seite. Elona blieb gar nichts anderes übrig als ihnen zu folgen, als sie das Haus betraten. »Ja, Mutter«, antwortete Leesha dann, »es war meine Idee. Sicher, wir haben nicht genug Platz für alle, aber die Kinder und die alten Leute, die bis jetzt noch nicht am Schleimfluss erkrankt sind, können hier Schutz finden, was immer auch passiert.«
»Das dulde ich nicht!«, schnauzte Elona.
Leesha warf sich herum. »Du wirst nicht gefragt!«, bellte sie. »Du hast Recht, unser Haus ist das einzige im ganzen Dorf, an dem die Siegel noch intakt sind. Entweder du fügst dich und richtest dich darauf ein, in dieser Enge zu überleben, oder du gehst ins Dorf und kämpfst Seite an Seite mit den anderen. Möge der Schöpfer mir helfen, aber die Kinder und die Alten bleiben heute Nacht hier!«
Elona blickte sie voller Empörung an. »So würdest du nicht mit mir reden, wenn es deinem Vater gutginge!«
»Wenn es ihm gutginge, hätte er diese Leute selbst in sein Haus eingeladen«, schoss Leesha unnachgiebig zurück.
Dann richtete sie das Wort an den Tätowierten Mann: »Die Papierwerkstatt befindet sich gleich hinter dieser Tür«, erklärte sie, mit dem Finger in die entsprechende Richtung deutend. »Dort findest du ausreichend Platz zum Arbeiten und auch die Geräte meines Vaters, mit denen er Siegel zeichnet. Die Kinder sammeln im ganzen Dorf Werkzeuge ein, die sich als Waffe eignen, und bringen sie zu dir.«
Der Mann nickte und verschwand ohne ein Wort in der Werkstatt.
»Wo um alles in der Welt hast du bloß diesen Kerl aufgegabelt?«, fragte Elona.
»Er hat uns unterwegs vor den Horclingen gerettet«, erwiderte Leesha und schickte sich an, in das Zimmer ihres Vaters zu gehen.
»Ich weiß nicht, ob ihm noch zu helfen ist«, warnte Elona sie und umklammerte den Türgriff. »Die Hebamme Darsy meint, jetzt läge alles nur noch in den Händen des Schöpfers.«
»Blödsinn!«, versetzte Leesha, trat ins Zimmer und eilte sofort an das Krankenlager ihres Vaters. Er war bleich und verschwitzt, aber als sie ihn sah, zuckte sie nicht mit der Wimper. Sie legte eine Hand auf seine Stirn und tastete prüfend seinen Hals, die Handgelenke und die Brust ab. Währenddessen stellte sie ihrer Mutter Fragen nach seinen Symptomen, wann sie das erste Mal aufgetreten waren, und wie sie und die Hebamme ihn bis jetzt behandelt hätten.
Elona rang die Hände, aber sie beantwortete die Fragen, so gut sie konnte.
»Viele der anderen, die es getroffen hat, sind viel kränker als er«, stellte Leesha fest. »Er ist robuster, als du denkst.«
Zum ersten Mal enthielt
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