Das Lied der Dunkelheit
sich nicht noch einmal leisten.
Er verdrängte Leesha aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf die bevorstehende Schlacht. Das Heilige Buch der Krasianer, der Evejah, enthielt Berichte von den Siegen, die Kaji errungen hatte, der erste Erlöser. Als er die Krasianische Sprache gelernt hatte, hatte er diesen Text ausführlich studiert.
Kajis Philosophie über die Kriegskunst galt in Krasia als unantastbar und fand seit Jahrhunderten allnächtlich Anwendung im Kampf gegen die Horclinge. Indem man Kajis Regeln befolgte wie ein heiliges Dogma, war es den Kriegern überhaupt erst möglich, sich gegen die Dämonen zu behaupten. Für das Gelingen einer Schlacht gab es vier göttliche Gesetze: Seid euch einig bezüglich des Ziels und wer euer Anführer sein soll. Sucht euch den Zeitpunkt und den Ort einer Schlacht selbst aus. Passt euch den Gegebenheiten an, die ihr nicht beeinflussen könnt, alles andere bereitet sorgfältig vor. Greift in einer
Art und Weise an, mit der euer Feind nicht rechnet, findet die Schwachpunkte des Gegners heraus und nutzt sie zu eurem Vorteil.
Einem Krasianischen Krieger wurde von klein auf eingebläut, dass sein Weg zum Heil darin bestand, alagai zu töten. Wenn Jardir von seinen Männern verlangte, ihre schützende Deckung zu verlassen, dann folgten sie dem Befehl ohne zu zögern. Sie kämpften und starben in der absoluten Gewissheit, dass sie Everam dienten und nach ihrem Tod für ihren Opfermut belohnt würden.
Der Tätowierte Mann fürchtete, bei den Dörflern auf weniger Einsatzfreude zu treffen, doch als er sah, mit welchem Eifer sie hin und her hetzten und sich auf den Kampf vorbereiteten, dachte er, sie vielleicht unterschätzt zu haben. Selbst in Tibbets Bach hatte jeder seinem Nachbarn in Zeiten der Not beigestanden. Diese Hilfsbereitschaft hielt die Dörfer am Leben, auch wenn es keine schützenden Mauern gab. Wenn es ihm gelang, diese Leute zu beschäftigen, ihnen genug Zuversicht zu geben, damit sie nicht verzweifelten, wenn die Dämonen angriffen, dann würden sie vielleicht kämpfen wie eine aufeinander eingeschworene Armee.
Wenn nicht, dann würde in dieser Nacht jeder sterben, der im Heiligen Haus Zuflucht gesucht hatte.
Die Stärke von Krasias Widerstand beruhte nicht nur auf den Kämpfern, sondern war auch darauf zurückzuführen, dass man Kajis zweites Gesetz der Kriegsführung befolgte, sich das Terrain für die Schlacht selbst auszusuchen. Das Krasianische Labyrinth war ein raffiniert ausgeklügeltes Konstrukt, um den dal’Sharum möglichst viel Schutz zu bieten und die Dämonen in Hinterhalte zu locken.
Eine Seite des Heiligen Hauses lag gegenüber dem Wald, der von Baumdämonen beherrscht wurde. Zwei Seiten grenzten an
die zerstörten Straßen mit den Häuserruinen. Es gab viel zu viele Schlupfwinkel, in denen die Dämonen sich verstecken konnten. Doch vor dem Haupteingang befand sich der Dorfplatz. Wenn sie es schafften, die Dämonen dorthin zu scheuchen, hatten sie vielleicht eine Chance.
Der Regen machte es unmöglich, die ölige Asche von den Steinwänden des Heiligen Hauses zu entfernen und die Siegel neu zu malen, deshalb hatten sie die Fenster und das Portal mit Brettern zugenagelt und mit Kreide Symbole auf das Holz gemalt. Jetzt kam man nur noch durch eine schmale Seitenpforte hinein, deren Schwelle man mit Siegelsteinen geschützt hatte. Die Dämonen hätten leichteres Spiel, wenn sie die Mauern durchbrachen.
Allein die Tatsache, dass Menschen mitten in der Nacht draußen waren, würde die Horclinge wie ein Magnet anziehen; trotzdem hatte der Tätowierte Mann Vorkehrungen getroffen, um die Bestien in feste Bahnen zu lenken, damit sie das Gebäude nicht von den Seiten her angriffen, sondern dem Weg des geringsten Widerstands folgten und vom hinteren Ende des Dorfplatzes ihre Attacke starteten. Auf seine Anweisungen hin hatten die Dörfler Hindernisse um das Heilige Haus errichtet und nur die Stelle freigelassen, an der sie dem Ansturm der Dämonen begegnen wollten. An strategisch wichtigen Stellen standen in aller Eile hergestellte Pfosten, bemalt mit Siegeln, die Verwirrung stifteten. Jeder Dämon, der an ihnen vorbeistürmte, um die Wände des Gebäudes niederzureißen, würde seinen Vorsatz vergessen und sich unweigerlich zu dem Tumult auf dem Dorfplatz hingezogen fühlen.
Zu einer Seite des Platzes befand sich der Tagespferch für das Vieh, das dem Fürsorger gehörte. Der Pferch war klein, doch mit neuen, machtvollen Schutzpfosten
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