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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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die sich auf einen Streit eingerichtet hatte, war verblüfft, aber sie nahm die Waffe entgegen, nickte einmal mit dem Kopf und entfernte sich. Eine nach der anderen kamen die Frauen nun zu ihm, und er gab jeder einen Speer.
    Als die Männer sahen, dass der Tätowierte Mann Waffen austeilte, umlagerten sie ihn im Nu. Die Holzfäller bekamen ihre eigenen Äxte zurück, und skeptisch beäugten sie die frisch aufgemalten Siegel. Bis jetzt hatte noch kein Axthieb den Panzer eines Baumdämons spalten können.
    »Den brauche ich nicht«, verkündete Gared und gab den Speer zurück, den der Tätowierte Mann ihm gegeben hatte. »Ich bin keiner, der mit einem Stock durch die Luft fuchtelt, aber ich weiß, wie man eine Axt schwingt.«

    Einer der Holzfäller brachte ein Mädchen an, ungefähr dreizehn Sommer alt. »Ich heiße Flinn«, stellte der Holzfäller sich vor. »Manchmal begleitet meine Tochter Wonda mich auf die Jagd. Ich will nicht, dass sie draußen im Freien kämpft, aber wenn du ihr einen Bogen gibst und sie sich hinter den Siegeln verschanzen kann, wirst du erleben, dass ihr Pfeil immer sein Ziel trifft.«
    Der Tätowierte Mann betrachtete das Mädchen. Sie war hoch aufgeschossen und keine Schönheit, doch was die körperliche Kraft betraf, schien sie nach ihrem Vater zu schlagen. Er ging zu seinem Pferd und holte seinen Bogen und den Köcher mit den wuchtigen Pfeilen. »Diese Waffen werde ich heute Nacht nicht brauchen«, erklärte er dem Mädchen und zeigte auf ein hoch gelegenes Fenster im Dach des Heiligen Hauses. »Versuch, ob du genug Bretter lösen kannst, um von dort aus zu schießen«, riet er ihr.
    Wonda schnappte sich Bogen und Köcher und hetzte los. Ihr Vater verbeugte sich und zog sich gleichfalls zurück.
    Als Nächstes kam der Fürsorger Jona angehumpelt.
    »Du solltest im Haus sein und das Bein schonen«, meinte der Tätowierte Mann, der sich in Gegenwart Heiliger Männer nie wirklich wohl fühlte. »Wer keine Lasten schleppen oder einen Graben ausheben kann, steht hier draußen nur im Weg herum.«
    Der Fürsorger Jona nickte. »Ich wollte mir nur die Verteidigungsanlagen ansehen.«
    »Sie müssten stark genug sein«, erwiderte der Tätowierte Mann mit mehr Zuversicht, als er fühlte.
    »Natürlich sind sie stark genug«, bekräftigte Jona. »Der Schöpfer würde die, die in Seinem Haus Schutz suchen, niemals verlassen. Deshalb hat er dich ja geschickt.«
    »Ich bin nicht der Erlöser«, widersprach der Tätowierte Mann und runzelte unwillig die Stirn. »Niemand hat mich
geschickt, und der Ausgang dieser Nacht ist höchst ungewiss.«
    Jona lächelte nachsichtig, wie ein Erwachsener, der die Unwissenheit eines Kindes toleriert. »Ist es denn ein Zufall, dass du ausgerechnet in der Stunde der höchsten Not bei uns aufgetaucht bist?«, fragte er. »Es steht mir nicht zu, darüber zu entscheiden, ob du der Erlöser bist oder nicht, aber du stehst hier, wie jeder andere von uns, weil der Schöpfer dich an diesen Ort geführt hat, und Er hat für alles, was er uns beschert, einen Grund.«
    »Aus welchem Grund hat er dann das halbe Dorf mit dem Schleimfluss gestraft?«, wollte der Tätowierte Mann wissen.
    »Ich gebe nicht vor, die Wege des Schöpfers zu kennen«, antwortete Jona milde, »aber es gibt ihn, den rechten Pfad. Eines Tages werden wir zurückblicken und uns fragen, wie wir ihn jemals verfehlen konnten.«

    Als Leesha das Heilige Haus betrat, kauerte Darsy erschöpft neben Vikas Lagerstatt und versuchte, ihre im Fieber glühende Stirn mit einem feuchten Tuch zu kühlen.
    Leesha ging sofort hin und nahm Darsy das Tuch ab. »Leg dich schlafen«, bestimmte sie und bemerkte die tiefe Müdigkeit in den Augen der Frau. »Bald geht die Sonne unter, und dann brauchen wir unsere ganze Kraft. Nun geh schon. Ruh dich aus, solange noch Zeit dazu ist.«
    Darsy schüttelte den Kopf. »Ich kann mich ausruhen, wenn die Horclinge mich geholt haben«, entgegnete sie. »Bis es so weit ist, werde ich arbeiten.«

    Leesha sah sie einen Moment lang an, dann nickte sie. Sie griff in eine Schürzentasche und holte eine schwarze, gummiartige Substanz heraus, die in Wachspapier eingewickelt war. »Kau das«, ordnete sie an. »Morgen wirst du dich fühlen, als hätten die Horclinge dich gekriegt, aber es hält dich die Nacht über wach.«
    Darsy nickte, nahm die Substanz und steckte sie sich in den Mund, während Leesha sich über Vika beugte, um sie zu untersuchen. Sie nahm einen Schlauch, der über ihrer Schulter

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