Das Lied der Dunkelheit
entgegnete Jeph.
Harl stieß einen grunzenden Laut aus. »Ich denke, du solltest damit bis morgen warten«, meinte er. »Fang unterwegs damit an, wenn du mit ihm allein bist. Manchmal drehen die Jungs durch, wenn sie es erfahren. Und das Mädchen fühlt sich dann gekränkt.«
»Wahrscheinlich hast du Recht«, stimmte Jeph zu. Am liebsten hätte Arlen laut geschrien.
»Ich weiß genau, dass ich Recht habe«, betonte Harl. »Vertrau mir. Ein Mann mit drei Töchtern weiß, wovon er spricht. Mädels regen sich über alles auf, nicht wahr, Lainie?« Ein klatschendes
Geräusch ertönte, und Ilain fing an zu kreischen. »Trotzdem sollte man ihnen keinen Kummer machen, der nach ein paar Stunden Weinen nicht wieder vergessen ist.«
Danach trat eine längere Stille ein, und Arlen zog sich behutsam zur Scheunentür zurück.
»Ich geh dann mal ins Bett«, grunzte Harl. Arlen erstarrte. »Da Silvy heute Nacht dein Lager in Anspruch nimmt, Lainie«, fuhr er fort, »kannst du bei mir schlafen, wenn du mit dem Abwasch fertig bist und die Mädchen ins Haus geholt hast.«
Arlen duckte sich hinter eine Werkbank und versteckte sich dort, während Harl zum Abtritt schlurfte, sich dort erleichterte, dann in seine Kammer ging und die Tür zuzog. Der Junge war im Begriff, sich in die Scheune zurückzuschleichen, als Ilain plötzlich das Wort ergriff.
»Ich will auch weg von hier«, platzte sie heraus, sobald sich die Tür hinter Harl geschlossen hatte. »Was?«, fragte Jeph verdutzt.
Von seinem Versteck aus konnte Arlen unter dem Vorhang Ilains und Jephs Füße sehen. Das Mädchen trat um den Tisch herum und setzte sich neben seinen Vater.
»Nimm mich mit«, bat Ilain. »Bitte. Wenn Lucik erst hier ist, geht es Beni gut. Ich muss hier weg.«
»Warum?«, wunderte sich Jeph. »Für drei Personen werden die Lebensmittel doch wohl reichen.«
»Das ist nicht der Grund«, erklärte Ilain. »Weshalb ich abhauen will, spielt keine Rolle. Wenn ihr Renna abholt, kann ich Vater sagen, dass ich draußen auf dem Feld bin. Ich laufe die Straße hinunter und treffe euch dort. Bis Vater merkt, dass ich weg bin, vergeht eine Nacht. Auf keinen Fall wird er uns verfolgen.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, widersprach Jeph.
»Dein Hof liegt viel zu weit entfernt, als dass er es riskieren würde, mich heimzuholen.« Ilain schlug einen flehenden Ton an. Arlen sah, wie sie ihre Hand auf Jephs Knie legte. »Ich bin kräftig und fleißig. Ich kann arbeiten«, beteuerte sie. »Keine Angst, ich werde dir nicht zur Last fallen. Ich kann mir meinen Unterhalt verdienen.«
»Aber ich kann dich deinem Vater doch nicht einfach wegnehmen«, wandte Jeph ein. »Wir haben keinen Ärger miteinander, und ich denke nicht daran, einen Streit vom Zaun zu brechen.«
Ilain spuckte aus. »Der alte Schuft will dich glauben machen, dass ich wegen Silvy sein Bett teile«, erzählte sie mit ruhiger Stimme. »Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Ich muss jede Nacht bei ihm liegen, sowie Renna und Beni schlafen gegangen sind. Wenn ich mich weigere, schlägt er mich.«
Jeph schwieg eine geraume Zeit lang. »Ich verstehe«, sagte er schließlich. Er ballte eine Faust und wollte vom Tisch aufstehen.
»Bitte, nicht«, flehte Ilain. »Du hast ja keine Ahnung, wie er toben kann. Er würde dich umbringen.«
»Soll ich denn gar nichts unternehmen?«, fragte Jeph. »Tatenlos danebenstehen?« Arlen begriff nicht, worum es überhaupt ging. Was war denn schon dabei, wenn Ilain in Harls Kammer schlief?
Arlen sah, wie Ilain näher an seinen Vater heranrückte. »Du wirst jemanden brauchen, der sich um Silvy kümmert«, flüsterte sie. »Und sollte sie nicht überleben …« Sie beugte sich vor, und ihre Hand wanderte zu Jephs Schoß, so wie Beni versucht hatte, Arlen anzufassen. »… könnte ich deine Gemahlin werden. Ich würde dir viele Kinder schenken«, versprach sie. Jeph stöhnte leise auf.
Arlen wurde übel, und sein Gesicht brannte. Als er krampfhaft schluckte, spürte er im Mund den bitteren Geschmack von Galle. Am liebsten wäre er laut brüllend in Harls Kammer gerannt und hätte ihm den perfiden Plan, den sein Vater und Ilain ausheckten, verraten. Harl hatte gegen einen Horcling gekämpft, um seine Tochter zu schützen, etwas, das Jeph niemals tun würde. Er stellte sich vor, wie Harl seinem Vater eine Tracht Prügel verpasste. Der Gedanke gefiel ihm.
Jeph zögerte, dann stieß er Ilain von sich weg. »Nein!«, erwiderte er. »Morgen bringen wir Silvy zur
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