Das Lied der Dunkelheit
Kräutersammlerin, und sie wird wieder gesund.«
»Nimm mich trotzdem mit«, bettelte Ilain und fiel vor Jeph auf die Knie.
»Ich … ich werd’s mir überlegen«, entgegnete der. Just in diesem Augenblick kamen Beni und Renna von der Scheune hereingetrampelt. Eilig rappelte Arlen sich aus seiner kauernden Haltung hoch und tat so, als sei er zusammen mit den Mädchen gekommen, während Ilain hastig aufstand. Er merkte, dass es nun zu spät war, die beiden zur Rede zu stellen. Die Gelegenheit für eine Konfrontation war verpasst.
Nachdem Ilain ihre Schwestern zu Bett gebracht und Arlen und Jeph mit schmutzigen Decken versorgt hatte, damit sie in der Stube ihr Nachtlager einrichten konnten, holte sie tief Luft und verschwand in der Kammer ihres Vaters. Bald darauf hörte Arlen, wie Harl leise Grunztöne von sich gab, in die sich gelegentlich Ilains erstickte Schreie mischten. Während er sich taub stellte, huschten seine Blicke zu Jeph, der nervös an seinen Fingerknöcheln kaute.
Am nächsten Morgen war Arlen schon vor Sonnenaufgang auf den Beinen, während die anderen noch schliefen. Nur wenige Augenblicke bevor sich die Sonnenscheibe über den Horizont schob, öffnete er die Tür und beobachtete voller Ungeduld die noch verbliebenen Horclinge, die hinter dem Schutzwall fauchten und ihre Krallen in die leere Luft schlugen. Als der letzte Dämon auf dem Hof sich in Nebel auflöste, verließ Arlen das Haus und lief in die große Scheune, wo er Missy und auch Harls Pferde tränkte. Die Stute war übel gelaunt und versuchte, ihn zu beißen. »Nur noch einen Tag, Missy, dann bist du erlöst«, tröstete Arlen sie, während er ihr den Futtersack vor das Maul band.
Sein Vater schnarchte immer noch, als er ins Haus zurückkehrte und an den Türrahmen der Kammer klopfte, in der Renna und Beni schliefen. Beni zog den Vorhang zur Seite, und sogleich bemerkte Arlen die besorgten Mienen der beiden Schwestern.
»Sie wacht nicht auf.« Renna, die vor dem Bett kniete, auf dem Arlens Mutter lag, schluchzte trocken. »Ich wusste, dass ihr so früh wie möglich aufbrechen wolltet, aber als ich sie geschüttelt habe …« Sie deutete auf Silvy, und in ihren Augen standen Tränen. »Sie ist so blass.«
Arlen stürzte an das Lager seiner Mutter und griff nach ihrer Hand. Ihre Finger waren kalt und klamm, doch als er ihre Stirn berührte, schien die Haut dort zu glühen. In kurzen, keuchenden Atemzügen schnappte sie nach Luft, und sie verbreitete den fauligen Gestank der Dämonenkrankheit. Die Verbände waren mit einem bräunlich gelben Sekret durchtränkt.
»Dad!«, schrie Arlen. Im nächsten Moment tauchte Jeph auch schon auf, und hinter ihm zwängten sich Ilain und Harl in die Kammer.
»Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren«, bestimmte Jeph.
»Nehmt zusätzlich noch eines meiner Pferde mit«, schlug Harl vor. »Spannt es vor den Wagen, wenn eure Stute ermüdet. Wenn ihr die Tiere ständig austauscht, kommt ihr schneller voran. Im Laufe des Nachmittags müsstet ihr die alte Mey erreicht haben.«
»Wir stehen tief in deiner Schuld«, begann Jeph, doch Harl winkte ab.
»Beeilt euch«, drängte er. »Ilain packt euch etwas Verpflegung zusammen. Ihr könnt unterwegs auf dem Karren essen.«
Als Arlen sich zum Gehen wandte, hielt Renna ihn am Arm fest. »Wir sind jetzt einander versprochen«, flüsterte sie. »Ich werde jeden Abend auf der Veranda stehen und auf euch warten. So lange, bis ihr zurückkommt.« Sie küsste ihn auf die Wange. Ihre Lippen waren weich, und noch lange nach dem Kuss konnte er die Berührung spüren.
Der Karren hüpfte und schwankte, als sie in einem Wahnsinnstempo die unbefestigte, holperige Straße entlangrasten. Sie hielten nur ein einziges Mal an, um die Pferde zu wechseln. Arlen beäugte das Essen, das Ilain ihnen mitgegeben hatte, als wäre es vergiftet. Jeph hingegen fiel gierig darüber her.
Während Arlen widerwillig auf dem groben Brot und dem harten, stinkenden Käse herumkaute, kam ihm der Gedanke, dass vielleicht alles auf einem Missverständnis beruhte. Womöglich hatte er sich gestern Abend verhört, als er das Gespräch zwischen seinem Vater und Ilain belauscht hatte. Und er irrte sich, wenn er glaubte, Jeph hätte gezögert, Ilain abzuweisen.
Es war eine verlockende Illusion, doch schon bald riss Jeph ihn aus seinen Grübeleien. »Wie gefällt dir Harls jüngste Tochter?«, erkundigte er sich wie beiläufig. »Du warst doch eine ganze Weile mit ihr zusammen.« Arlen fühlte sich,
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