Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
zeigt. Das Dokument verpflichtet ihn zu zukünftigen Zahlungen. Aber er wird nie in der Lage sein, die Raten zu leisten. Nie im Leben. Denn er wird nicht genügend Geld sparen können. Und deshalb wird er genauso weiterleben wie vorher, außer dass er jetzt für die Dorfgemeinschaft schuftet und nicht mehr für den früheren Grundbesitzer. «
Antonina kann Grischas eindringlichem Blick nicht mehr standhalten. Sie schaut über seine Schulter hinweg zu einer Schar graubrauner Brachvögel, die schlanke, gebogene Schnäbel haben und in Richtung Süden fliegen. » Das bedeutet also, dass ich nichts bekommen werde. Ich verliere nicht nur meine Leibeigenen, sondern auch Land. «
» Ja, gnädige Frau. Darauf wird es hinauslaufen. Und das ist der Gang der Dinge, wie wir ihn schon seit Monaten erleben. «
» Aber bestimmt hat Konstantin dafür gesorgt … « Sie lässt den Satz unbeendet. » Jakowlew wird mich über unser Vermögen aufklären. Und was ist mit dir, Grischa? Du warst schon immer ein freier Mann. « Während sie diese Worte spricht, kommt ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass auch er weggehen könnte. Sie kann sich Angelkow nicht ohne ihn vorstellen. Sie kann sich ihr Leben ohne Grischa nicht vorstellen.
Grischas Gesichtsausdruck verhärtet sich. » Machen Sie sich um mich keine Gedanken, Gräfin Mitlowskaja « , sagt er. » Ich habe mir schon immer zu helfen gewusst. «
Der Ton, in dem er die letzten Worte sagt – zu helfen gewusst –, lässt sie erschauern. Sie sieht ihn an; groß und aufrecht sitzt er auf seinem Pferd. Ihr wird bewusst, dass sie nichts von seiner Vergangenheit weiß. Sie kennt nur das Haus, das er bewohnt, das Verwalterhaus mit den blauen Fensterläden: das Regal mit den ordentlich aufgereihten Büchern, den Kamin, in dem ein behagliches Feuer prasselt.
» Als ich auf das Gut kam, hast du als Küfer für den Grafen gearbeitet « , sagt sie.
» Ja. «
Wie viel Jahre wird er wohl älter sein als sie? Sieben, acht Jahre?
» Stammst du aus einem der umliegenden Dörfer? «
» Nein. Ich bin aus Sankt Petersburg gekommen. Und davor lebte ich in Moskau. «
» Ach so. « Die Art, wie Grischa sie ansieht, verunsichert sie. Sie weiß nicht, ob er will, dass sie weiterfragt oder dass sie gar keine Fragen stellt. Plötzlich fühlt sie sich zutiefst unbehaglich, auch wenn sie nicht weiß, warum. In den vergangenen Monaten hat sie mehr Zeit mit Grischa verbracht als mit jemand anderem, abgesehen von Lilja. Aber noch nie hat ihr seine Gegenwart Unbehagen eingeflößt.
Noch immer sieht er sie an, und plötzlich spürt Antonina, wie sie errötet. Sie erwidert seinen Blick, ein paar Sekunden zu lange, wie ihr scheint, dann wendet sie ihn ab und betrachtet ihre unbehandschuhten Hände, die die Zügel halten. Ein kühler Windstoß lässt sie frösteln; die goldenen und orangenen Nadeln der Lärchen, die die Straße säumen, führen einen wilden Tanz auf. Wolken jagen über den blauen Himmel und verdecken die Sonne.
» Lassen Sie uns weiterreiten, gnädige Frau « , sagte Grischa. Behutsam lenkt er sein Pferd seitlich an Antoninas Stute vorbei, sodass es in die gewünschte Richtung blickt. Antonina lässt langsam den Atem entweichen; sie merkt erst jetzt, dass sie die Luft angehalten hat.
Sie wendet Dunja ebenfalls. » Wenn der Anwalt da ist, werden wir weitersehen. « Sie drückt die Unterschenkel in Dunjas Flanken, und sofort setzt sich das Pferd in Bewegung. Der gleichmäßige Schritt der Stute gibt ihr ein tröstendes Gefühl. Ein erneuter Windstoß lässt Antoninas Umhang flattern, und Blätter in leuchtenden Farben regnen auf sie herab, verfangen sich in ihrem Haar, ihrer Kleidung und den Pferdemähnen.
Grischa blickt in den Himmel. » Es wird Regen geben « , sagt er. » Hoffentlich hält das Wetter noch ein paar Stunden. « Auf seiner Schulter liegt ein leuchtend kupferfarbenes Herbstblatt.
Als sie die ersten Hütten von Tuschinsk erreichen, spürt Antonina, dass der Wind kälter geworden ist. Noch immer ist die Luft klar und frisch, und sie schließt die Augen und atmet tief durch. Mit einer Hand greift sie in Dunjas dicke, weiche Mähne.
» Warten Sie hier am Dorfrand auf mich, gnädige Frau « , sagt Grischa. Er wirkt merkwürdig nervös. » Es dauert nur fünf Minuten, dann bin ich wieder bei Ihnen. « Er unterbricht sich kurz, dann fügt er hinzu: » Die Straße ist von tiefen Furchen übersät, und Dunja könnte stolpern. « Er hat Angst, dass, wenn sie darauf besteht, ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher