Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
hebt die Hand, um es selbst festzuhalten, legt die Finger über seine. Er nimmt seine Hand weg.
Die Bauern scharen sich in einem großen Kreis um sie, wahren respektvoll Abstand. Sobald sie sie anschaut, verbeugen sie sich tief aus der Hüfte.
Die junge Mutter hat den Jungen an sich gezogen, er steht jetzt zwischen ihr und seinem Vater. Sie will ihn beschützen, denkt Antonina. Die langen, dürren Beine des Jungen sind nackt. Seine Mutter wischt ihm mit den Fingern die Nase ab. Er ist höchstens sechs oder sieben; der Mantel ist ihm viel zu groß. Ihr Mann zupft sie am Ärmel, woraufhin sie sich verbeugt und den Jungen anstupst, damit er es ihr gleichtut.
» Die talmotschka … der Mantel gehört meinem Sohn « , sagt Antonina. Sie nimmt das Taschentuch vom Gesicht weg, damit man ihren Mund sieht und sie besser versteht, aber nur Grischa schaut sie an. Also sagt sie zu den gebeugten Köpfen: » Sein Name – er ist auf dem Saum eingestickt: Michail. « Als sie den Namen ihres Sohnes vor diesen Fremden ausspricht, schluckt Antonina schwer. Sie muss tief ein- und ausatmen, bevor sie weitersprechen kann. » Er wurde uns weggenommen, von den Kosaken. Und er trug diesen Mantel, als es passierte. Bitte. Sie … « Alle umstehenden Bauern bis auf die Mutter und den Jungen heben die Köpfe, um zu sehen, wen sie meint. Sie hat den Blick auf den jungen Mann gerichtet.
Er sieht zuerst sie an, dann seinen Jungen, während er die Hand auf seinem Kopf ruhen lässt. Bei diesem Anblick spürt Antonina ein leichtes Zucken. Sie weiß, dass der Mann erleichtert ist, dass man sein Kind nicht gestohlen hat. Vielleicht ist er in diesem Augenblick sogar froh, dass er nur ein einfacher Bauer ist, dessen Kind zu entführen sich nicht lohnt, weil er gar kein Lösegeld zahlen könnte, sodass sein Kind sicher vor marodierenden Kosaken ist.
Wieder zupft er seine Frau am Ärmel, worauf sie den Kopf hebt. Er macht ein paar Zeichen mit den Fingern, und sofort entspannt sich ihr Gesicht. Sie schaut Antonina an und erwidert einen Moment lang ihren Blick, dann nickt sie. Sanft zieht sie dem Jungen den Mantel aus, tritt dann vor und hält ihn Antonina hin.
Diese nimmt ihn, birgt die blutige Nase darin, versucht, den Duft ihres Sohnes zu riechen. Aber der Mantel riecht nur nach Fett und Rauch. Er ist schmutzig und nun obendrein mit ihrem Blut befleckt.
» Danke « , sagt sie mit bebender Stimme, während sie zusieht, wie die junge Mutter ihr Kind mit ihrem Schal umwickelt, um es vor dem kühlen Wind zu schützen. » Mein Verwalter « , sagt sie und deutet mit einer matten Handbewegung auf Grischa, » wird dafür sorgen, dass Ihr Junge einen anderen Mantel bekommt. « Antonina sieht Grischa an, und der nickt.
» Kommen Sie, Gräfin « , sagt er und reicht ihr den Arm. » Ihr Gesicht muss behandelt werden. «
Antonina steht auf, muss sich aber an ihn klammern, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Bauern weichen ein wenig zurück. » Danke « , sagt sie zu dem jungen Mann, » für den Mantel meines Sohnes. « Sie drückt ihn an die Brust. » Und sagen Sie Ihrer Frau, es tut mir leid, dass ich ihr Angst gemacht habe. «
» Wir verstehen Sie, gnädige Frau « , entgegnet er.
» Danke « , sagt Antonina abermals, kaum hörbar diesmal, und lässt sich dann von Grischa zu Dunja führen. Sein Pferd steht mit gesenktem Kopf neben der Stute. Während Grischa die Hände faltet, um eine Aufsteighilfe für sie zu bilden, und sie sich von ihm in den Sattel heben lässt, zerstreuen sich die Bauern nach und nach.
Der Sattel knarrt, als sie sich hineinsinken lässt.
» Augenblick, bitte, gnädige Frau « , sagt Grischa. » Ich frage den Bauern noch eben nach seinem Namen, damit ich ihm einen neuen Mantel schicken kann. «
Antonina verfolgt benommen, wie Grischa zu dem Paar zurückeilt, das noch immer in der Mitte der schlammbedeckten Straße steht und sich mit Handzeichen unterhält. Als Grischa das Wort an sie richtet, wirken sie eingeschüchtert, weichen ein wenig zurück. Grischa steht mit dem Rücken zu ihr, und sie kann sein Gesicht nicht sehen. Der junge Mann schweigt zunächst, dann beginnt er zu sprechen, während er schützend den Arm um die Schultern seiner Frau legt.
Sein Verhalten wundert sie keineswegs; sie weiß, dass die Bauern Männer wie Grischa fürchten, Männer, die eine hohe Position auf den Gütern innehaben.
Als Grischa zurückkommt, streift er die Hände aneinander ab, als wollte er den Schmutz des Dorfes loswerden. Seine
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