Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Miene ist düster.
Er sitzt auf, und langsam reiten sie zur Landstraße zurück. Grischa hält Dunjas Zügel, während die Pferde gemächlich Schritt gehen. Noch immer drückt Antonina Michails Mantel an die Brust, während sie mit der anderen Hand das blutgetränkte Taschentuch vor die Nase hält.
Immer wieder sieht Grischa zu ihr hinüber.
Sie sind erst eine Werst vom Dorf entfernt, da ertönt das erste Donnergrollen aus der Ferne. Zuerst fallen nur ein paar Regentropfen, dann setzt ein heftiger kalter Herbstregen ein.
» Gnädige Frau … « Grischa lenkt sein Pferd nah an Dunja heran, während Antonina die Kapuze ihres Capes hochschlägt. Wegen des lauten Prasselns des Regens muss er sich zu ihr hinüberbeugen, damit sie ihn verstehen kann. Ihre Beine berühren sich. » Ich kenne eine Datscha hier in der Nähe. Wollen Sie vielleicht dort abwarten, bis der Regen nachlässt, oder wollen Sie lieber nach Hause reiten? «
» In die Datscha « , sagt Antonina vor Kälte zitternd. Sie ist erschöpft, als hätte sie eine große körperliche Anstrengung hinter sich.
VIERUNDZWANZIG
I n dem kleinen Stall neben der Datscha hilft Grischa ihr abzusitzen, dabei fällt Mischas Mantel zu Boden. Sie stößt einen erschrockenen Schrei aus. Grischa hebt ihn auf und bürstet mit der Hand das Stroh ab, ehe er ihn ihr reicht. Wieder birgt sie das Gesicht im Mantel, und ein tiefes Schluchzen entfährt ihr.
Während sie leise weint, legt er zögernd die Hände auf ihre Schultern. Das Gesicht noch immer im Mantel geborgen lehnt sich Antonina an seine Brust. Da legt er den Arm um sie, so leicht, dass Antonina ihn zunächst kaum spürt.
Abgesehen von Liljas zärtlichem Zuspruch, wenn sie ihr beim Baden und Ankleiden hilft oder sie frisiert oder in den Schlaf streichelt, ist Antonina schon seit Langem nicht mehr berührt worden. Als sie jetzt ihre Wange an die raue Wolle von Grischas Tunika schmiegt und den menschlichen Herzschlag spürt, breitet sich in ihr ein solches Gefühl der Geborgenheit aus, dass sie es nicht schafft, sich von ihm zu lösen.
Eine Weile stehen sie so da, während Staubmotten um sie herumflattern und der Geruch nach Kuhmist und feuchtem Stroh in der Luft liegt. Man hört das Schaben der Pferdehufe auf dem Holzboden, den nur eine spärliche alte Heuschicht bedeckt. Hie und da ist ein leises Schnauben zu hören, ein Schlagen mit dem Schweif. Der Regen trommelt auf das Holzdach.
Als Antonina bewusst wird, wie lange sie sich schon von Grischas Umarmung trösten lässt, löst sie sich von ihm. Sie wischt sich mit den Fingerknöcheln über die Augen und zieht scharf den Atem ein, als sie ihre verletzte Nase berührt. Sofort beginnt es wieder zu bluten, und sie hält Grischas Taschentuch vor die Nase, während sie zur Datscha hinübergehen. Durch die Bäume hindurch nimmt sie ein Glitzern wahr: Dort liegt ein kleiner See.
Grischa öffnet die Haustür für sie und lässt sie eintreten. Er führt sie zu einem kleinen Sofa in der Nähe des Kamins, dann kniet er sich davor und macht sich mit Reisig und einem Zündholz zu schaffen. Kurz darauf fängt das Reisig Feuer, und der rußbedeckte, aus Ziegelsteinen gemauerte Kamin wird von Flammen erhellt. Grischa hockt sich auf die Fersen und legt ein paar Holzscheite auf das Reisigfeuer. Dann zieht er die Jacke aus und wirft sie auf den Schaukelstuhl, der in der Nähe steht.
» Bald wird es warm in der Datscha, gnädige Frau « , sagt Grischa, während er sie über die Schulter ansieht. » Ich mache auch gleich den Herd an und erhitze Wasser, damit Sie Ihr Gesicht säubern können. « Er begibt sich in den angrenzenden Raum, und Antonina hört das Plätschern von Wasser.
Sie legt Michails Mantel auf das Sofa und geht den kurzen Flur entlang bis zum Ende, wo es einen kleinen Waschraum mit Toilette gibt. Die Holzdatscha ist gepflegt und einfach, aber auf ländlich gemütliche Weise eingerichtet. Wessen Sommerhaus ist es eigentlich?, fragt sich Antonina. Gehört es den Bakanews? Es liegt ein Stück abseits der Landstraße und ist nur über einen schmalen, verborgenen Pfad, der sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelt, erreichbar, oder mit dem Boot über den See.
Sie blickt in den gewellten Spiegel über dem Waschbecken, lässt das Taschentuch sinken und zuckt zusammen. Sie erkennt sich nicht wieder: Da ist etwas Wildes, Verwegenes an ihr, etwas, das ihr Angst macht. Das stete Pochen in ihrer Nase strahlt in den ganzen Körper aus. Ihr Mieder ist blutbefleckt.
Als sie
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