Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
ins Wohnzimmer zurückkehrt, kniet Grischa erneut vor dem Kamin. » Tut es sehr weh, gnädige Frau? « , fragt er und sieht zu ihr hoch.
» Gibt es hier etwas zu trinken, Grischa? «
Grischa steht auf und geht wieder in die Küche, um mit einer halbvollen Flasche Wodka zurückzukehren. Benommen fragt sich Antonina, warum er sich hier so gut auskennt.
» Tut mir leid, Wein gibt es leider keinen, nur Wodka, aber er ist von guter Qualität. Zwar nicht aus Angelkow « , fügt er mit dem Anflug eines Lächelns hinzu, » aber dennoch nicht übel. Das Wasser wird gleich warm sein. «
Antonina setzt sich wieder aufs Sofa. Sie legt das zerknäulte, blutverkrustete Taschentuch neben sich und breitet den Mantel über ihren Schoß. Sie streicht ihn glatt; eine Unebenheit lässt sie innehalten, eine Stelle, wo der Innensaum aufgegangen ist.
Grischa füllt ein kleines Glas zur Hälfte. Plötzlich stößt Antonina einen Schrei aus. » Schau! Schau nur, Grischa! « Sie hält zwei kleine Zettel hoch; darauf erkennt sie die von ihr transponierten und aufgeschriebenen Noten eines Glinka-Stückes und auf der Rückseite jeweils eine handgeschriebene Notiz. Die beiden Zettel waren zwischen dem Futter und dem wollenen Oberstoff des Mantels verborgen.
Wie schon die Nachricht, die Lew brachte, hat Michail auch diese mit einem Kohlestift geschrieben:
Es gefällt mir hier nicht. Ich muss neben einem Schwein schlafen und habe Angst, dass es mich beißt. Aber ich weine nicht. Ich bin ein tapferer Soldat, wie Papa es will. Aber wenn ich wieder zu Hause bin, bitte ich Papa, dass er diese Leute bestraft.
Auf dem zweiten Stück Papier ist die Kohle so verschmiert, dass Antonina Mühe hat, die Worte zu entziffern.
Hier ist es ein bisschen besser, weil es kein Schwein gibt. Ich bin noch immer ein tapferer Soldat. Manchmal, wenn die Kirchenglocke nebenan läutet, muss ich fast weinen, weil ich dann an Mama denke. Es ist jetzt heiß. Ich glaube, mein Geburtstag ist schon vorbei, weil es so heiß ist. Mich juckt es überall.
Sie weint. » Im Sommer hat er jedenfalls noch gelebt, Grischa, aber warum haben sie seinen Mantel … « Sie kann den Satz nicht beenden.
Grischa erwidert nichts.
Sie presst die Handballen gegen die Augen. Was er jetzt wohl trägt, im kalten Herbst? » Warum hatte dieser Junge Mischas Mantel an? « , fragt sie und lässt die Hände wieder sinken, während sie, noch immer weinend, das Glas entgegennimmt, das Grischa ihr hinhält.
Grischa weiß, warum. Er weiß es, weil er eine Stunde zuvor den Dorfbewohner ausgefragt hat. Aber er kann es Antonina nicht sagen. Er beobachtet, wie sie den Wodka in einem Zug hinunterstürzt.
» Mehr, bitte « , sagt sie, und während er ihr Glas erneut füllt, schaut sie ihn an. » Trink mit mir, Grischa. «
Er zögert einen Moment, dann sagt er: » Wie Sie wünschen, Gräfin. Entschuldigen Sie mich kurz, ich gehe ein zweites Glas holen. «
Antonina legt Mischas Zettel neben sich, stellt das Glas ab und zieht das feuchte Cape aus. Dann greift sie erneut zu dem vollen Glas und wartet auf Grischa, während ihre andere Hand auf den verschmierten Zetteln neben sich ruht. Sie blickt in die Flüssigkeit in ihrem Glas; die Flammen spiegeln sich tänzelnd darin, übergroß, orange und scharlachrot und gelb.
Grischa kommt mit einem zweiten Glas zurück, schenkt sich ein, dann stellt er sich vor das Feuer.
» Auf Mischa « , sagt Antonina und hebt ihr Glas. Grischa zögert, dann tritt er vor und stößt mit ihr an. Die Haut auf ihrem Hals und ihren Handgelenken hebt sich fast weiß von ihrem violetten Wollkleid ab.
» Auf Michail Konstantinowitsch « , sagt er. Er wartet, bis Antonina trinkt, ehe er sein Glas an die Lippen setzt.
Wie schon das erste Glas leert sie auch das zweite in einem Zug, ohne auch nur einmal abzusetzen. Er sollte eigentlich nicht überrascht sein; er weiß, dass die Gräfin den Wodka nicht verachtet. Dennoch wundert er sich, dass sie wie ein Mann trinkt.
» Noch eins, bitte « , sagt Antonina, und Grischa schenkt ihr erneut ein.
» Das Wasser müsste jetzt heiß sein « , sagt er und entschuldigt sich, ehe er in die Küche zurückkehrt. Kurz darauf kommt er mit einer dampfenden Blechschüssel und einem weichen sauberen Baumwolllappen zurück. Ihr Glas ist schon wieder leer. » Ich bringe die Schüssel für Sie in den Waschraum. «
Antonina fühlt eine tiefe Müdigkeit in sich aufsteigen. Sie schüttelt den Kopf, und sofort ist der Schmerz wieder da. » Ich will lieber
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