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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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hierbleiben. «
    Grischa stellt die Schüssel auf den Boden und taucht das Tuch in das warme Wasser. Er wringt es aus und faltet es zu einem ordentlichen Quadrat, das er ihr hinhält.
    Das leere Glas umklammernd dreht sie ihm auffordernd das Gesicht zu.
    Grischa setzt sich neben sie auf das Sofa und presst das warme Tuch auf ihre Lippen. Sie zieht scharf die Luft ein.
    » Das tut weh. Gib mir noch etwas zu trinken « , sagt sie. Sie klingt wie ein junges Mädchen, denkt Grischa, bestimmt hat sie sich damals so angehört. Er weiß um die Wirkung von reinem, gutem Wodka. Also tut er wie geheißen.
    Sie trinkt das nächste Glas halb leer und wendet ihm mit geschlossen Augen wieder das Gesicht zu. Grischa fährt fort, behutsam ihr Gesicht von dem getrockneten Blut zu säubern. Diesmal zuckt sie nicht zusammen. » Darf ich Ihre Nase anfassen, gnädige Frau? « , fragt er.
    Antonina nickt, doch als Grischas Fingerspitzen ganz sacht ihren Nasenrücken berühren, keucht sie auf und wischt seine Hand weg. Sie trinkt den restlichen Wodka und lässt das leere Glas auf den Teppich zu ihren Füßen fallen.
    » Sie ist gebrochen, wie ich vermutet habe « , sagt er.
    Antonina sagt, noch immer mit dieser Mädchenstimme, die er noch nie zuvor an ihr wahrgenommen hat: » Trink noch ein Glas mit mir, Grischa. «
    Der Wodka hat sie beruhigt. Es ist warm in der Datscha, während es draußen noch immer regnet, auch wenn das Trommeln auf dem Dach nachgelassen hat. Grischa weiß, wenn sie noch länger bleiben, werden sie Mühe haben, den Pfad im Wald zu erkennen, denn es wird eine mondlose Nacht werden.
    » Wir sollten bald aufbrechen, gnädige Frau, wenn wir nicht im Dunkeln zurückreiten wollen. «
    Antonina beugt sich vor, lehnt den Kopf an seine Schulter. » Ich will nicht mehr hinaus. Ich bin schrecklich müde. «
    Grischa blickt auf ihre Hände, die schlaff in ihrem Schoß liegen. Er spürt ihre fülligen Haare weich an seiner Wange. Er nimmt einen süßen Duft wahr, kann aber nicht sagen, ob er ihrem Haar oder ihrem Kleid oder ihrer Haut entströmt.
    Eine Weile verharren sie so; im Zimmer ist es jetzt fast dunkel, es wird nur noch vom Kaminfeuer erhellt. Ein Holzscheit fällt knackend zusammen. Er muss mehr Holz auflegen, damit das Feuer nicht ausgeht. » Gnädige Frau « , sagt er leise, und sie murmelt etwas, das er nicht versteht. » Ich lege Holz nach und entzünde eine Lampe. «
    Kaum hat er sich behutsam von ihr gelöst, ergreift sie die Flasche und leert den Rest.
    Als er zurückkommt, liegt sie auf dem Sofa, in der einen Hand noch immer die leere Flasche, die andere hat sie unter die Wange geschoben. Er zündet die Lampe an, die auf dem runden Tisch in der Ecke steht. Der Regen fließt noch immer sanft und stetig an den Fensterscheiben herab. Er geht zum Sofa zurück und sieht auf Antonina hinab. Dann biegt er sanft ihre Finger zurück, nimmt ihr die Flasche ab und stellt sie auf den Boden. Ihre Nase ist geschwollen und dunkel verfärbt, aber Antonina liegt jetzt friedlich, mit geschlossenen Augen und gleichmäßig atmend da. Michails Mantel ist auf den Boden gerutscht; Grischa hebt ihn auf und drapiert ihn über die Sofalehne.
    Er nimmt die dicke Decke, die auf dem Schaukelstuhl liegt, und breitet sie über sie. Eine blonde Haarsträhne hat sich aus ihrer kunstvollen Frisur gelöst und liegt quer über ihrem Gesicht. Er fragt sich, was passieren würde, wenn er sie zurückstreicht. Wie sich ihr Haar anfühlen mag.
    Plötzlich schlägt sie die Augen auf und blickt ihn an; sie scheint überhaupt nicht überrascht, als sie sieht, dass er direkt neben ihr steht. Hier in der Datscha ist sie eine andere Frau. Sie ist nicht mehr die Gräfin, die ihm in dem holzgetäfelten Arbeitszimmer Anweisungen erteilt, die ihm zu verstehen gibt, er kann jetzt gehen, sobald alles Nötige besprochen ist. Im Feuerschein kennt er diese Frau nicht, erkennt nur, wie schön sie ist.
    » Komm her « , sagt sie, und er kniet sich neben das Sofa. Sie fährt mit den Fingern durch sein Haar, schiebt es ihm aus der Stirn. » Dein Haar und deine Augen sind so schwarz. Warum, Grischa? «
    Er bewegt sich nicht. » Meine Mutter war Burjatin. «
    » Eine Burjatin? « Antonina blinzelt verwirrt. Sie weiß, dass die Burjaten ein Stamm mit asiatischen Zügen sind, die im äußersten südöstlichen Zipfel Sibiriens leben, in der Nähe der Mongolei. » Wie kommt es, dass deine Mutter eine Burjatin war, Grischa? «
    Als er nicht antwortet, lässt sie die Hand sinken.

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