Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
verheiratet war, hat sie abgestoßen; er war schwach und unmoralisch in ihren Augen. Und nun … sie schließt die Augen. Wie konnte sie nur zulassen, dass dies geschah.
Sie bekreuzigt sich und bittet Gott lautlos um Vergebung.
Grischa rührt sich, dreht sich zu ihr um, und sie hält die Luft an. Und obwohl sie doch gerade erst ihr Gebet zu Ende gesprochen hat, will sie schon wieder, dass er sie in seine Arme zieht, will seine heiße Haut auf ihrer spüren, ihre Finger auf seinen Körper legen und seinen Rippenbogen nachzeichnen, die Kuhle an den Schlüsselbeinen und die Linie seiner Hüfte. Es hätte nicht passieren dürfen. Aber wie soll sie vor sich selbst leugnen, welche Gefühle er in ihr weckt?
Sie schläft erneut ein, wird aber durch eine Bewegung Grischas geweckt. Es ist noch nicht Morgen, auch wenn ein schwaches Licht den Raum erhellt, ein weiches Grau das Dunkel verdrängt. Er stützt sich auf einen Ellbogen und sieht sie an, und sie, alle Skrupel beiseiteschiebend, schlingt den Arm um seinen Hals und zieht ihn zu sich herab; sie wölbt sich ihm entgegen, spürt, dass er bereit für sie ist. Seine Lust entfacht ihre noch mehr.
Konstantin hat sie nie begehrt. Er tat, was er tun musste, um einen Erben zu zeugen.
Grischa beugt sich hinab und küsst ihre Brustwarze, saugt daran, und Antonina keucht leise auf. Sein Haar berührt ihre Wange, sie streicht es zurück und wölbt die Hände um seinen Hinterkopf. Sie betrachtet seine dunklen Wimpern, die sich gegen seine Wangen abheben. Als er den Kopf hebt, um sie anzusehen, drückt sie ihre Lippen auf seine, und er erwidert ihren Kuss, und dann dringt er fließend und kraftvoll in sie ein. Er dreht sich mit ihr um, sodass sie beide auf der Seite liegen und sich ansehen. Zärtlich biegt er ihr Bein über seine Hüfte und bewegt sich langsam, nicht so hastig wie am Abend zuvor.
» Ich will dich, Grischa « , sagt sie, und er erwidert: » Nenn mich Tima, bitte. Nenn mich Tima. «
Antoninas Begierde ist so groß, dass sie sich nicht über seine Bitte wundert. » Tima « , haucht sie und berührt mit der Zungenspitze den Rand seines Ohrs.
Als sie aufwachen, sickert blasses Sonnenlicht durch das Fenster herein. Antonina weiß nicht, ob Grischa sie aufgeweckt hat oder sie ihn, jedenfalls sehen sie sich im spärlichen Tageslicht an. Er öffnet den Mund, will etwas sagen, doch die Erkenntnis dessen, was sie getan hat, trifft Antonina mit voller Wucht. Sie setzt sich auf, dreht ihm den Rücken zu. Während sie nachts keinerlei Scham empfunden hat, wickelt sie nun die Bettdecke um ihren Körper, ehe sie sich daranmacht, ihre Kleidung vom Boden aufzusammeln; ihre Sachen sind klamm und kalt. Ohne Grischa anzuschauen oder etwas zu sagen, verlässt sie das Zimmer. Sie begibt sich in den Waschraum, wo sie sich eilig anzieht. Erst dann gestattet sie sich, in den Spiegel zu blicken.
Ihre Nase ist geschwollen, und unter den Augen hat sie blaue Flecken. Ihren Kiefer ziert außerdem ein rötlicher Streifen, wo Grischas Kinn ihre Haut aufgerieben hat. Ihre Frisur wird zwar größtenteils noch von den Kämmen und Spangen gehalten, aber ihr Haar ist zerzaust.
Schlimmer als die Übelkeit, die wieder in ihr aufsteigt, sind die Gewissenbisse; sie kann nicht glauben, was sie getan hat.
Sie kehrt ins Wohnzimmer zurück und zieht gerade ihr Cape über, als Grischa aus dem Schlafzimmer kommt. Er hat den Blick auf seinen Ledergürtel gesenkt, den er über seine Tunika schnallt. Sein Haar ist strubbelig. Seine Wangen unter dem Bartschatten sind leicht gerötet, und er hat die Stiefel unter die Arme geklemmt.
Sie steckt Mischas Zettel in die Tasche seines Mantels. » Die Straßen werden nach dem Regen schlammbedeckt sein « , sagt sie, und ihr Versuch, ihre Stimme sachlich klingen zu lassen, misslingt. » Unser Ritt nach Hause wird beschwerlich werden. «
» Ja. « Grischa hebt den Blick von seinem Gürtel und sieht sie an. » Wie geht es deiner Nase heute Morgen? « Er setzt sich auf einen Stuhl und zieht einen Stiefel an.
Antonina bemerkt, dass er zum ersten Mal in ihrer Gegenwart Platz genommen hat, ohne dass sie ihn dazu aufforderte. Ihr Mund ist vom Wodka ausgetrocknet; sie sehnt sich nach einer heißen Tasse Tee. Während sie die Bänder ihres Capes bindet, wendet sie sich von ihm ab. » Ich gehe hinaus, Dunja satteln « , sagt sie.
» Nein, lass mich das machen, Tosja. «
Obwohl sie ihn gebeten hat, diesen Namen zu benutzen, klingt er bei Tageslicht irgendwie nicht richtig aus
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