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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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verneint.
    » Ja, gnädige Frau. «
    » Dann setz dich, bitte. « Sie deutet auf den Schreibtisch, wo Papier, eine Feder und ein Tintenfass stehen. » Ich möchte, dass du etwas schreibst. « Sie bemüht sich um einen sachlichen, aber bestimmten Tonfall.
    Ljoscha schluckt, und sie sieht, wie sein Adamsapfel dabei auf und ab hüpft, und nimmt am Schreibtisch Platz. Er tunkt die Feder in die Tinte, hält aber über dem Blatt inne und sieht Antonina an.
    » Was soll ich schreiben, Gräfin Mitlowskaja? « Sein Gesichtsausdruck erinnert sie an den kleinen Jungen mit dem feuchten Husten, der sich vor vielen Jahren hinter dem Rock seiner Mutter versteckte. Sie kann sich nicht vorstellen, dass er etwas mit dieser Gräueltat zu tun hat.
    » Die Chöre der Engel mögen ihn empfangen. «
    » Gut, Gräfin « , sagt er, und schon gleitet die Federspitze zügig über das Blatt.
    Sie blickt ihm über die Schulter. Seine Buchstaben sind regelmäßig und sicher gesetzt; er schreibt wesentlich schneller, als sie erwartet hätte. Das h ist perfekt. Antonina schließt erleichtert die Augen. Sie atmet aus und legt Ljoscha ihre Hand auf die Schulter. » Du schreibst gut. Hat Lilja es dir beigebracht? «
    Er blickt zu ihr hinauf. » Nein, Gräfin. «
    » Wer denn? « , fragt Antonina überrascht.
    » Grischa, in dem Jahr, als ich als Stallbursche angefangen hab. «
    » Warum hat er dich unterrichtet? «
    Jetzt lächelt Ljoscha. » Er meinte, ich würde mich ganz ordentlich anstellen und dass ich eines Tages vielleicht die Möglichkeit hätte, was anderes als Stallarbeit zu machen. Aber Lilja hat Soso schreiben beigebracht. «
    » Soso? «
    » Ja. «
    » Danke « , sagt Antonina nach kurzem Zögern. »Du kannst jetzt gehen. «
    Ljoscha steht auf, verbeugt sich tief, dreht sich um und verlässt das Zimmer. Wegen der zu engen Pantoffeln ist sein Gang ein wenig steif.
    Als Antonina am Abend allein im Arbeitszimmer am Schreibtisch sitzt, denkt sie über Soso nach. Von Lilja weiß sie, dass er das Gut kurz nach Mischas Entführung verlassen hat. Viele andere Leibeigene haben das Gleiche getan; warum ist Sosos Verschwinden ihr dann merkwürdig vorgekommen?
    Erschöpft schließt sie die Augen und lässt ihre Unterredung mit Jakowlew Revue passieren. Ist es tatsächlich möglich, dass sie Angelkow verlieren könnte? Wohin sollten sie dann gehen – sie und Konstantin, falls er überlebt. Und falls nicht? Sie sieht sich bereits als mittellose Witwe. Sie öffnet unvermittelt die Augen. » Und wie würde ich überleben? « , sagt sie laut.
    Der Gedanke, bald eine prischiwalka zu sein, eine jener vom Glück verlassenen mittellosen adligen Frauen, denen nichts anderes übrig bleibt, als einen Nachbarn oder Verwandten zu bitten, ihm ein Dach über dem Kopf zu gewähren, lässt sie schaudern. Um nicht als Geizhälse dazustehen, sind die reichen Adligen in der Regel bereit, dem ungebetenen Gast ein unbenutztes Zimmer zur Verfügung zu stellen. Aber in jemand anderes Haus zu leben ist für den heimatlosen Adligen erniedrigend und macht ihn angreifbar. Prischiwalka. Allein schon das Wort ist demütigend. Es bedeutet, dass etwas von etwas anderem abhängt, fast wie ein Parasit.
    Sie denkt an ihren Bruder Marik. Sie haben seit Jahren kein Wort mehr gewechselt, aber der Streit, der ihrem Schweigen zugrunde liegt, fand vor langer Zeit statt und spielte sich zwischen Konstantin und ihm ab. Ihn könnte sie um Geld bitten, doch dann wird ihr klar, dass Marik ganz sicher nicht in der Lage ist, ihr die riesige Summe zu leihen, die sie bräuchte, um das Gut zu halten.
    Nein. Aber wenn sie als mittellose Witwe zu ihm käme – wenn es denn dazu kommen sollte –, würde er sie gewiss bei sich aufnehmen. Sie stellt sich vor, wie sie in seinem Haus alt wird, als seine verwitwete Schwester, wie ihr Haar ergraut und die feinen Linien um ihre Augen tiefer werden. Um sich ein wenig nützlich zu machen, würde sie ihm bei der Erziehung seiner Kinder helfen, ihnen vielleicht Musikunterricht erteilen. Sie denkt an Mariks Frau, die sie in einigermaßen angenehmer Erinnerung hat. Aber wie lange würde die sich in Geduld üben gegenüber einer fremden Frau – ihrer Schwägerin –, der sie bis an deren Lebensende Unterschlupf gewähren müssten?
    Nein, sagt sie sich, noch ist es nicht so weit. So schnell gebe ich Angelkow nicht auf. Erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. » Noch nicht « , sagt sie laut.
    Und Michail? Was, wenn sie gezwungen ist, das Gut zu verlassen, während

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