Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
» Ja. Ich möchte, dass du bleibst. Aber … aber ich kann dir kein Gehalt bezahlen. Ich habe kein Geld mehr. Wärst du trotzdem bereit zu bleiben? Es würde bedeuten, dass du weiterhin in deinem Haus wohnst und dich von dem ernährst, was wir in den Gärten anbauen, und dem Fleisch von den Tieren, die wir aufziehen. Gewiss könnten wir uns eine Weile über Wasser halten – nun, da ein Großteil der Bediensteten weggegangen ist und wir nicht mehr so viele Mäuler zu stopfen haben. Die Kornspeicher und Lager … « Sie unterbricht sich. » Sind sie gut gefüllt? «
Grischa trinkt von seinem Glas. » Sie wurden geplündert. In den Speichern und der Brennerei gibt es kaum mehr Vorräte. «
» Wie bitte? Warum weiß ich davon nichts? Wurden die Lager denn nicht bewacht? «
» Doch. Aber es waren zu wenig Wachen, und sie konnten nichts ausrichten. Nachdem der Graf verletzt wurde, kamen Nacht für Nacht Plünderer und haben die Vorräte säckeweise hinausgeschafft. Irgendwann hat man die Leute erwischt und bestraft. Aber der Großteil der Bestände ist weg. «
» Warum habe ich nichts davon erfahren? «
» An manchen Tagen … nein, an den meisten Tagen haben Sie sich geweigert, mich zu empfangen, gnädige Frau. Lilja berichtete mir, dass Sie … « Er hält inne.
Was hat Lilja ihm erzählt? Weiß er, dass sie viele Tage im Bett verbrachte und Trost beim Wodka suchte, den sie in ihrem Kleiderschrank hortete? Sie leert ihr Glas und hält es ihm hin, damit er ihr nachschenkt.
Er beachtet es nicht. » Um ehrlich zu sein, gnädige Frau, habe ich nicht darauf bestanden, Ihnen all diese Dinge zu berichten, da mir schien, Sie hätten genug Sorgen. Eine Weile dachte ich, der Graf würde sich wieder erholen. Doch als ich sah, dass sein Geist angegriffen war, und ich das Gefühl hatte, es gehe Ihnen wieder besser, habe ich beschlossen, mit Ihnen zu reden. « Er nimmt ihr Glas und stellt es zusammen mit seinem auf den Vitrinenschrank. » Kommen Sie, wir brauchen frische Luft. « Er führt sie am Arm zu dem bodentiefen Verandafenster und öffnet es. Er legt die Hand an ihren Rücken und schiebt sie auf die breite Veranda hinaus, als wäre er der Gutsherr.
Sie weiß, dass sie es ist, die diese verwirrende Situation zwischen ihnen beiden geschaffen hat, indem sie sich in der Datscha vergaß – teils aus Traurigkeit, aber natürlich auch unter dem Einfluss des Wodkas.
Die klare Rollenverteilung zwischen Gutsherrin und Verwalter gilt zwischen ihnen nicht. Grischa ist ein freier Mann, kann von heute auf morgen weggehen, wenn es ihm beliebt.
» Ich werde bleiben, Antonina « , sagt Grischa. Beide sind sich bewusst, dass er sie beim Vornamen angeredet hat. Sie stehen am Geländer und blicken auf das Land, das sich vor ihnen ausbreitet. Das Geländer müsste dringend frisch gestrichen werden, die Farbe blättert ab. » Und ich bin einverstanden, kein Gehalt für meine Arbeit zu bekommen; als Ausgleich gebe ich mich mit ein paar Werst Land zufrieden. «
Sicher, er muss auf irgendeine Weise entlohnt werden, das ist ihr klar. » Ja, ja, nimm dir ein paar Werst – zwei oder drei? «
» Sagen wir sechs? « , erwidert Grischa. » Es gibt einen geeigneten Abschnitt an der Grenze zum Gut der Bakanews. « Er unterbricht sich kurz. » Das würde mir helfen, meine Zukunft zu sichern. «
Sie spürt einen Anflug von Enttäuschung und versucht die Ursache dieses Gefühls zu ergründen. Ist seine Zukunft nicht hier? Sie kann sich ihn nirgendwo anders vorstellen als in dem kleinen Haus mit den blauen Fensterläden. Und doch … hat er nicht das Recht auf ein eigenständiges Leben? Auf ein Stück Land und ein Haus, das er nach seinen eigenen Vorstellungen errichten kann? Auf eine Frau, denkt sie. Und Kinder. » Oh « , ist alles, was sie hervorbringt.
Grischa lächelt, aber es ist nicht echt. Nur ein leichtes Verziehen des Mundes. » Unsere Abmachung gilt nur für eine gewisse Zeit, Antonina. Du – und Angelkow – fürs Erste seid ihr mein Anliegen, um das ich mich kümmern werde. Aber ich muss auch an meine Zukunft denken. « Er scheint das Gefühl zu haben, als müsste er sie ein zweites Mal auf diesen Punkt hinweisen. » Wie wir alle. Wir leben in einem neuen Russland. «
Antonina ist angespannt, ihre Lippen zittern. Es ist, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
» Lass uns spazieren gehen « , sagt Grischa in festem Tonfall. Er berührt sie nicht, während sie die Stufen hinunter und quer über den Hof gehen.
Antonina fröstelt; es
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