Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Nasenlöchern hat seine Stimme einen näselnden Klang.
Einen schrecklichen Moment lang kämpft Antonina gegen den Impuls, in ein hysterisches Lachen auszubrechen. Nur wenige Stunden vorher hat der Arzt zu ihr gesagt, sie solle sich auf eine schwierige Zeit vorbereiten. Und nun sagt ihr der Anwalt, die Lage sei äußerst ernst. Was glauben diese Männer eigentlich, wie die letzten Monate für sie waren? Sie bedeckt mit der Hand den Mund, um den ein unfreiwilliges Lächeln zuckt, und dreht das Gesicht zur Seite.
» Alles in Ordnung, Gräfin? «
Sofort hat sie sich wieder gefangen und wendet sich ihm erneut zu. Sie setzt sich in Konstantins Sessel und bedeutet dem Anwalt mit einem Nicken, ebenfalls Platz zu nehmen. » Ja. Dann erzählen Sie mir doch bitte, wie unsere Lage genau aussieht « , sagt sie betont ruhig – fest entschlossen, sich durch seine Worte keinen Schrecken einjagen zu lassen. Vielleicht hat Jakowlew ja eine andere Vorstellung von ernster Lage als sie.
» In den letzten Jahren war Ihr Mann ziemlich nachlässig, was die Regelung seiner Finanzen angeht « , erläutert der Anwalt. » Insbesondere hat er Schulden aufgehäuft und es versäumt, die anfallenden Steuern zu entrichten. Obwohl sowohl ich als auch Ihr Verwalter, wie ich weiß, ihn mehrmals darauf aufmerksam gemacht haben, hat er unseren Rat in den Wind geschlagen. Der Schuldenberg ist beträchtlich, Gräfin. «
» Ich verstehe. Wir schulden der Regierung also Steuern. Dann muss ich sie eben bezahlen. Welche Mittel besitzt der Graf? «
Jakowlew runzelt die Stirn und beugt sich vor. » Mittel? Was meinen Sie damit, gnädige Frau? «
Antonina spürt ein Flattern unter den Rippen. » Ich würde von Ihnen gern wissen, Anwalt Jakowlew, von welchem Konto ich das Geld nehmen soll, um die ausstehenden Steuern zu begleichen – wie hoch ist die Summe, sagten Sie, auf die sich die Schulden belaufen? « Sie deutet mit einem Nicken auf die zwischen ihnen ausgebreiteten Unterlagen.
» Aber, Gräfin Mitlowskaja « , beginnt der Mann, und noch ehe er weiterspricht, weiß Antonina, was er sagen wird. Sie verschränkt die Hände in ihrem Schoß, wo sie durch den Schreibtisch vor Jakowlews Blicken verborgen sind. » Es gibt keine Mittel, bis auf das Bargeld, das Sie im Haus haben. Der Graf hat in den letzten Jahren alle Geschäftszweige verkauft, um Angelkow über Wasser zu halten. « Er lehnt sich wieder zurück.
Antoninas Blick wandert zu dem Aufsatzsekretär – einem wunderschönen hundert Jahre alten Möbel, einem Erbstück von Konstantins Vater. Wenn man die schräg gestellte Lade ausklappt, wird der Sekretär zum Schreibpult. In der abgeschlossenen unteren Schublade befindet sich Aleksandrs mit einem Vorhangschloss versehene Geldschatulle, die einst randvoll mit Geldscheinen war. Jetzt ist sie leer, genauso wie der kleine Tresor in Konstantins Schlafzimmer.
Sie schluckt. » Natürlich weiß ich, dass die Brennerei stillgelegt wurde. Abgesehen davon hat mich mein Mann nicht über geschäftliche Dinge auf dem Laufenden gehalten. Aber die Regierung … wenn man keine Steuern zahlen kann – und gewiss ergeht es zahllosen anderen Grundbesitzern ebenso wie uns « , fügt sie eingedenk von Grischas Worten hinzu, » … wenn ich also nicht in der Lage bin, meine Steuerschulden zu begleichen, was kann die Regierung dann unternehmen? «
Jakowlews Magen knurrt, was Antonina daran erinnert, dass sie ihm weder ein Mittagessen noch Tee angeboten hat, nachdem er die lange Fahrt von Pskow hierher auf sich nahm. Aber sie will, dass er sie über die Fakten aufklärt und dann möglichst bald wieder verschwindet. Es handelt sich schließlich nicht um einen Höflichkeitsbesuch.
Jakowlew räuspert sich. » Stark verschuldete Güter wie Angelkow werden von der Regierung übernommen. Oder … « Er unterbricht sich.
» Übernommen? Ich könnte Angelkow also verlieren? « Jakowlews beiläufige Feststellung hat sie zutiefst schockiert. Und sein Schweigen ist bereits die Antwort auf ihre Frage. Schließlich sagt sie: » Oder? Sie sagten ›oder‹ – gibt es also eine andere Möglichkeit, Anwalt Jakowlew? «
» Sie könnten das Land, das nicht an Ihre früheren Leibeigenen übertragen wurde, verkaufen. Desgleichen Vieh, Möbel und alles, was veräußerbar ist, und mit dem erzielten Erlös eine Anzahlung leisten. Wenn die Regierung sieht, dass Sie sich bemühen, Ihre Schulden zu begleichen, könnte es sein, dass man Ihnen Aufschub gewährt und Ihnen erlaubt, auf dem Gut
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