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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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Morgen, noch sickert nur wenig Tageslicht ins Zimmer. Antonina betrachtet das Profil des Priesters unter seiner hohen zylindrischen Kopfbedeckung, dann Konstantin.
    Es tut ihr weh, seinen rasselnden Atem zu hören.
    » Soll ich nach dem Doktor schicken, gnädige Frau? « , fragt Pawel, doch sie schüttelt den Kopf. » Er kann nichts mehr für ihn tun. Er hat diesen Verlauf vorausgesagt. «
    Pawel bekreuzigt sich.
    Antonina stellt sich neben den Priester, der jetzt das Weihrauchfass über dem Bett kreisen lässt. Dabei werden seine Gebete eindringlicher. Konstantin liegt reglos da, nur seine Brust hebt und senkt sich. Während der Graf langsam erstickt, durchbrechen nur die leise Stimme des Priesters und Konstantins mühevolles Atmen die Stille im Zimmer.
    Wenn er tot ist, wird sie nicht um ihn trauern. Es war nie Liebe zwischen ihnen. Im Grunde war ihr Mann nie ein richtiger Ehemann für sie. Aber sie weiß, dass das, was jetzt geschieht, Gottes Strafe für ihr lästerliches Tun ist. Er bestraft sie, indem er sie zur Witwe macht. Das wiederum drängt ihr einen Gedanken auf, den sie bislang nie zugelassen hat: Wenn Michail tot ist, wird Konstantin mit ihm im Himmel vereint sein.
    Und er hat es nicht verdient, seinen Sohn so bald wiederzusehen.
    Bei diesem Gedanken betrachtet sie sein Gesicht, und Wut überkommt sie. Zuerst ist es nur ein kurzes Aufflackern, aber dann schwillt das Gefühl an, und sie spürt, wie auch ihr Atem lauter und schwerer wird. Sie legt beide Hände an die Brust und versucht, sich wieder zu beruhigen.
    » Lassen Sie uns einen Moment allein, Pater Kirill « , sagt sie, als sie ihre sichtbare Erregung wieder unter Kontrolle hat. » Ich würde gern ein paar Minuten allein mit meinem Mann sein. « Olga und Pawel verbeugen sich sofort und gehen zur Tür.
    Der Priester stellt das Weihrauchfass auf den Boden neben das Bett und folgt den beiden auf den Flur hinaus.
    Antonina lässt sich auf die Knie sinken und bringt ihr Gesicht ganz nah an das ihres Mannes.
    » Konstantin « , sagt sie leise, nachdem sie einen Blick auf die offene Tür geworfen hat, wo ein Streifen des Priestergewands zu sehen ist. Konstantins Augen bleiben geschlossen. » Konstantin, kannst du nicht wenigstens ein Wort zu mir sagen? Willst du, dass wir so voneinandergehen? « Sie ist voller Bitterkeit, die ihr im Verein mit der weihrauchgeschwängerten Luft die Kehle zuschnürt, und als ihr Husten in Weinen übergeht, schlägt Konstantin tatsächlich die Augen auf.
    Sein Blick ist zum ersten Mal seit Wochen klar. Sie atmet bebend ein und aus. » Konstantin? « , sagt sie, aber sein Blick schweift von ihr weg zur Tür. Er blinzelt heftig, und der Priester, der sich umgedreht hat, als er Antoninas Weinen hörte, kehrt ins Zimmer zurück und beugt sich über ihren sterbenden Mann. Er tritt auf den Saum von Antoninas Rock, sodass sie spürt, wie der Stoff an ihrer Taille zerrt.
    Er legt das Ohr an den Mund ihres Mannes. Der lange, drahtige graue Bart des Priesters verdeckt ihr die Sicht auf Konstantins Lippen, aber sie hört ein Wispern. Der Priester dreht sich zu ihr um. » Er verlangt nach Tanja. «
    Antonina sagt nichts. Ihre Backenzähne schmerzen, so fest presst sie die Kiefer zusammen. Sie schüttelt den Kopf.
    Wieder senkt der Priester das Ohr an die Lippen des Sterbenden, um Konstantins Flüstern zu verstehen, dann nickt er und kehrt zum Tisch zurück. Er segnet die Kerzen, ehe er sie entzündet, entkorkt die Weihwasserflasche, und plötzlich überkommt Antonina ein solcher Zorn, stärker noch als die Wut, die sie zuvor empfunden hat, dass sie die seitlich herabhängenden Hände zu Fäusten ballt.
    Konstantin hat seine Stimme also wiedergefunden. Mit seinen letzten Worten hat er die Bitte geäußert, Tanja zu sehen. Und den Wunsch nach der Letzten Ölung und dem Empfang der Kommunion. Er wird Pater Kirill seine Sünden beichten und, von ihnen freigesprochen, friedlich seinem Tod entgegensehen. Er wird rein und unbefleckt dem Erlöser gegenübertreten.
    Er hat beschlossen, ihr nicht Auf Wiedersehen zu sagen.
    Eine Stunde später stirbt Konstantin. Seine Augen sind tief eingesunken, seine Haut wie raues Pergament, tief geriffelt wie die eines exotischen Tiers, eines Elefanten oder Nashorns.
    Olga kommt mit einem Tablett mit Gläsern und einer kleinen silbernen Teekanne herein. Sie schaut zuerst den Priester, dann ihre Herrin an. Nachdem sie das Tablett mit einem Klirren auf dem Tisch abgestellt hat, eilt sie zum Bett. Sie sieht

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