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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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Konstantin an, bekreuzigt sich immer wieder und beginnt zu heulen. Binnen Minuten ist das Haus, wo es in den letzten Tagen ohne Konstantins Geschrei ungewohnt still war, erfüllt von Weinen und Wehklagen. Von der Treppe und vom Flur her hört man eilige Schritte, dann erscheinen nach und nach die verbliebenen Dienstboten vor dem Zimmer – sowohl die Hausbediensteten als auch die Knechte aus dem Hof und den Stallungen. Sie versammeln sich um die offene Tür und heften den Blick auf ihren toten Herrn.
    Antonina erträgt es nicht mehr, bei der sterblichen Hülle ihres Mannes zu stehen, während sich die Dienstboten die Haare raufen und auf die Knie fallen, ihre Kruzifixe, die sie an einer Kette um den Hals tragen, küssen und Gott im Himmel anrufen. Sie bahnt sich einen Weg an ihnen vorbei und kehrt in ihr Zimmer zurück. Lilja ist im Begriff, die Bettwäsche zu wechseln. Tinka sitzt zitternd auf der Fensterbank, die Ohren gespitzt, während sie den Klagelauten vom Flur lauscht.
    Antonina weiß, dass Lilja das Wehklagen und laute Beten ebenfalls gehört hat und begriffen haben muss, dass Konstantin tot ist. Aber im Gegensatz zu den anderen Dienstboten ist sie nicht in Konstantins Zimmer geeilt. Sie zieht es vor, wie gewohnt ihrer Arbeit nachzugehen.
    » Er ist tot, Lilja « , sagt Antonina überflüssigerweise. » Konstantin Nikolajewitsch ist tot. « Laut ausgesprochen klingen die Worte seltsam in ihren Ohren. » Der gnädige Herr, mein Mann, ist tot « , sagt sie ein drittes Mal.
    Lilja sieht sie nur an, während sie eine frische Hülle über ein Kopfkissen streift.
    Antonina bemerkt die kunstvolle Spitze, mit der die Kissenhülle eingefasst ist. Sie erinnert sich daran, wie sie diese Bettwäsche vor elf Jahren in Sankt Petersburg für ihre Aussteuer kaufte. » Mein Mann ist tot, und mein Kind … mein Kind … « Antonina ist unfähig, den Satz zu beenden.
    Erst jetzt lässt Lilja das Kissen aufs Bett sinken und kommt zu ihr und nimmt sie in die Arme. » Setz dich, Tosja. « Sie hat die Stimme zu einem Flüstern gesenkt.
    Antonina lässt sich in den Chesterfield-Ledersessel in der Nähe des Kamins sinken. Vorsichtig, als wäre ein Mehlsack auf ihren Rücken geschnallt und als hätte sie Mühe, mit diesem neuen, ungewohnten Gewicht zurechtzukommen. Als könnte es sie jeden Moment aus dem Gleichgewicht bringen, wenn sie nicht jede Bewegung gemessen ausführt. Sie schließt die Augen und klammert sich an den Armlehnen fest; sogar im Sitzen ist ihr noch schwindelig.
    Lilja kniet sich vor sie hin. » Nun gibt es nur noch uns, Tosja. Nur dich und mich. «
    Antonina schlägt die Augen auf und sieht sie an. Sie weiß, dass Lilja nicht traurig ist über den Tod ihres Herrn. Sie weiß, welche Meinung sie über Konstantin Nikolajewitsch hatte. Liljas Augen strahlen, ein ruhiger Ausdruck liegt auf ihrem Gesicht.
    Unvermittelt fällt ihr wieder ein, dass sie mit Lilja über etwas reden muss. Soso. Ja, sie muss mit Lilja über Soso sprechen. Wegen des Holzbretts, das um den Pferdehals gebunden war. Aber nicht jetzt.
    Drei Tage nach seinem Tod wird Konstantin beigesetzt. Zahlreiche Trauergäste nehmen an der Beerdigung teil, mehr als dreihundert Menschen sind aus allen Teilen der Provinz herbeigeströmt, um den Gottesdienst und die Trauerfeier in der Erlösungskirche zu feiern. Antonina erkennt viele bekannte Gesichter unter den Gästen, unter anderem den Geiger Walentin Wladimirowitsch Kropotkin, der mit einigen anderen Trauergästen von dem Gut der Bakanews gekommen ist. Vor der Kirche drängen sich nicht nur die auf Angelkow verbliebenen Bediensteten, sondern auch ein Großteil von Konstantins früheren Leibeigenen.
    Nach der Messe folgt ein langer Trauerzug dem Sarg zu dem ausgehobenen Grab auf dem Friedhof hinter der Kirche – jenem, auf dem Konstantin vor wenigen Tagen schlief, in der irrtümlichen Annahme, sein Sohn sei dort bestattet. Die älteren weiblichen Dienstboten und Frauen aus den Dörfern lassen ein lautes Wehklagen vernehmen.
    Tanja steht im Kreis der Hausbediensteten. Im Gegensatz zu vielen anderen sind ihre Augen trocken, ihr Gesicht ist emotionslos. Antonina sieht sie an, und die andere erwidert ihren Blick.
    Mit einem Mal steht der Geiger neben ihr. Er nimmt ihre Hand zwischen seine Hände und drückt sie. » Mein tiefstes Beileid, Gräfin Mitlowskaja « , sagt er.
    » Danke. « Als der Priester zu beten beginnt, wendet sie den Blick von Tanja ab. Der Geiger taucht wieder in die Menge zurück.
    Sie hört die

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