Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
angenommen, aber ändert sich dadurch etwas?
Lilja neigt den Kopf zur Seite. » Natürlich ist sie in einer schlimmen Verfassung, nach dem Tod des alten Mannes und wo ihr Sohn noch immer vermisst wird. Warum fragst du mich da, wie es ihr geht? «
Er ist sich ziemlich sicher, dass Lilja nichts weiß. Im Unterschied zu Antonina kann sie nichts vor ihm verbergen.
» Gut « , sagt er und geht, das Ei noch immer in der Hand, aus der Küche. Er hat vergessen, es wieder in die Schüssel zurückzulegen.
Lilja weiß nie, was sie von Grischa denken soll. Ljoscha bewundert ihn und blickt zu ihm auf wie zu einem großen Bruder. Und sie muss zugeben, Grischa war immer gut zu dem Jungen. Ihrem Bruder gegenüber ist er besonders geduldig und nachsichtig. Im Gegensatz zu Soso war Grischa immer eine Art Beschützer für Ljoscha.
Als sie wenig später vor Antoninas Zimmer steht, hält sie kurz inne und denkt wieder über Grischa nach. Und daran, wie Antonina am Morgen nach der stürmischen Nacht zurückkam, die der alte Mitlowski auf dem Friedhof zugebracht hatte.
Lilja könnte nicht sagen, warum, aber irgendetwas an der Geschichte, die Antonina ihr erzählte, kam ihr merkwürdig vor. Und nun fragt Grischa sie über das Befinden der Gräfin aus. Nie zuvor hat er sich auf solche persönliche Weise bei ihr nach der Herrin erkundet.
Lilja gefällt das Ganze nicht. Sie atmet tief durch und ruft leise durch die Tür: » Tosja, dein Frühstück. «
Als die gedämpfte Antwort ertönt, balanciert sie das Tablett in einer Hand und dreht mit der anderen den gläsernen Türknauf.
Ein paar Minuten später, ihr Frühstück hat sie noch nicht angerührt, fordert Antonina Lilja auf, sich zu setzen.
Lilja, die gerade dabei ist, das Bett zu machen, dreht sich zu ihr um.
» Ich möchte dich etwas fragen « , sagt Antonina. Mit Tinka im Schoß sitzt sie in ihrem Sessel beim Kamin. » Setz dich bitte zu mir. «
Lilja nimmt in dem gegenüberliegenden Sessel beim Kamin Platz.
» Hast du etwas von Soso gehört? « , fragt Antonina.
» Warum fragst du mich jetzt nach meinem Mann, Tosja? Weil dein eigener gestorben ist? «
» Ich möchte wissen, ob du weißt, wo er ist und was er macht. «
Es wird immer komischer. Zuerst fragt Grischa sie in der Küche aus und jetzt ihre Herrin. » Nein. Ich weiß nicht, wo er steckt, und es interessiert mich auch nicht. Wie ich dir gesagt habe, habe ich keinerlei Gefühle für Iosif Igorewitsch. «
» Gut « , sagt Antonina. » Aber sobald du etwas von ihm oder über ihn hörst, vielleicht von einem der anderen Dienstboten, sagst du es mir bitte. «
» Warum fragst du nicht Grischa? «
Antonina furcht die Stirn. » Warum sollte Grischa Sosos Aufenthaltsort kennen? «
Lilja zuckt die Schultern. Sie zupft an einem losen Faden, der am Brokatpolster des Sessels herabhängt. » Grischa glaubt doch, er weiß alles über jeden « , sagt sie, und Antonina entgeht der leicht abfällige Tonfall nicht. » Und vielleicht tut er das ja auch. Jedenfalls noch. «
Die beiden letzten Worte lassen Antonina aufhorchen. » Wie meinst du das? «
» Solange er noch auf Angelkow ist. Und wer weiß, wie lange das noch der Fall ist. «
» Da irrst du dich, Lilja. Er hat nichts davon gesagt, dass er in naher Zukunft das Gut verlassen will. «
Lilja ruft sich ins Gedächtnis, was Ljoscha ihr erzählt hat. Dass Grischa selbst Grundbesitzer werden wird und er dessen Verwalter. » Dir gegenüber hat er vielleicht nichts gesagt, um dir nicht zu missfallen. Aber glaubst du, er wird, jetzt, wo er sein eigenes Land besitzt, noch lange hierbleiben? «
Antonina sieht Lilja eindringlich an. » Woher weißt du das? « Antonina kann sich nicht vorstellen, dass Grischa, der verschlossene, diskrete Grischa, einem Dienstboten von dem Stück Land erzählt hat, das er für seinen Verbleib auf Angelkow bekommen soll.
Liljas Miene ist ausdruckslos. » Man hört halt so manches. «
Antonina ist sich bewusst, dass Lilja absichtlich in Rätseln spricht. Aber warum? » Gut, Lilja, das ist alles. «
Lilja steht auf und geht zur Tür. Ehe sie das Zimmer verlässt, wirft sie einen kurzen Blick über die Schulter, und die Art, wie Lilja sie ansieht, beunruhigt Antonina noch mehr.
Antonina weiß, dass ihr mal wieder eine schlaflose Nacht bevorsteht. Sie trinkt drei Gläser Wodka, die sie zumindest so weit beruhigen, dass sie nicht wieder die Kiefer zusammenpresst, bis sie Zahnschmerzen davon bekommt. Während sie im Bett liegt, strömt eine Flut an
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