Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
daran. » Aber wenn sie Kropotkin heiratet, würden das Gut und die paar Werst Land, die ihr nach der Verteilung an die umliegenden Dorfgemeinschaften noch bleiben, ihm gehören. «
Grischa ist überrascht, dass Lilja das Gesetz kennt und weiß, was auf dem Spiel steht, wenn Antonina wieder heiraten sollte. Er hat eigentlich gedacht, dass der Musiklehrer der Bakanews bald wieder abreist, dass es bei zwei, drei Besuchen bleiben würde.
Lilja schüttelt den Kopf und knabbert wieder an dem Stück Rote Bete. » Ich bin wirklich überrascht vom Betragen der gnädigen Frau. Was ich gesehen habe … na ja, schickt sich nicht für eine Frau ihres Standes. « Sie schiebt den letzten Rest der Roten Bete in den Mund und wischt sich mit ihrem Schürzenzipfel die Mundwinkel ab. Natürlich würde Grischa jetzt gern fragen, worauf sie anspielt, aber er wird es sich verkneifen. Dazu ist er zu stolz. So ist es viel besser. Lilja weiß, was die Fantasie bewirken kann. » Ich dachte, du solltest das wissen. « Sie steht auf. » Weil dir genauso viel am Wohlergehen der gnädigen Frau liegt wie mir. «
Grischa sieht sie eindringlich an. Er steht ebenfalls auf, leert sein Glas und hebt seinen Mantel vom Boden auf. Während er ihn auf dem Weg zur Tür anzieht, ergreift Lilja nochmals das Wort.
» Ich sag dir Bescheid, was morgen abläuft. Wenn er zum Abendessen kommt. «
Als er zu seinem Haus zurückgeht, ruft sich Grischa ins Gedächtnis, wie sie ihn küsste, wie ausgehungert sie war, wie ungehemmt sie sich ihrer Lust hingab. Zum Teil war es dem Wodka geschuldet, aber als sie sich liebten, spielte sie ihm nichts vor, dessen ist er sich sicher.
Dieser Musiker kann einer Frau wie ihr niemals das Wasser reichen, denkt er.
» Der Geiger ist nichts für sie « , sagt er laut in die Dunkelheit hinein.
Walentin und Antonina haben als Vorspeise Soljanka gegessen, einen pikanten Rindfleischeintopf, und als Hauptgericht Backhuhn mit Sauce und Kartoffelsalat mit Kapern, Oliven, hartgekochten Eiern und Erbsen. In der Küche steht eine Platte mit Käse und marinierter Roter Bete sowie ein Kuchen, der, wie Antonina weiß, einen Großteil des kargen Zuckervorrats verschlungen hat, den die Speisekammer noch hergibt.
Walentin entgeht nicht, dass das Abendessen vom selben Diener serviert wird – Pawel –, der ihn an der Haustür empfängt und ihm den Mantel abnimmt. Offensichtlich gibt es kein Bedienungspersonal mehr: Die Leibeigenenbefreiung hat deutliche Spuren auf dem Gut der Gräfin hinterlassen.
Antonina isst nur wenig, während sie beim Wein nicht so zögerlich ist. Lautlos entkorkt Pawel eine zweite Flasche und füllt Antoninas leeres Glas. Dann geht er zu Walentin hinüber und will ihm ebenfalls nachschenken, aber dieser schüttelt den Kopf. Pawel stellt die Flasche auf die Anrichte zurück und nimmt wieder seine Position bei der Tür ein.
» Tut mir leid, dass ich Ihnen kein aufwendigeres Mahl bieten kann « , sagt Antonina.
» Wissen Sie, warum ich Sie all die Jahre über nie vergessen habe, Gräfin? « , fragt Walentin unvermittelt, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. » Und warum Sie einen solchen Eindruck auf mich machten, als ich Sie zum ersten Mal auf dem Fest zu Ehren Ihres Namenstags sah? «
Antonina erwidert seinen Blick. Sie hofft, dass die Episode mit ihrer Mutter nichts mit der Antwort auf seine Frage zu tun hat.
» Zum ersten Mal sind Sie mir aufgefallen bei unserer Probe; Sie hatten sich hinter einer Säule versteckt. Aber ich habe Sie gesehen und bemerkt, dass Sie etwas Ungebändigtes an sich haben, etwas Wildes; ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Es war nur untergründig zu spüren, aber es war da: in der Art, wie Sie sich bewegten, wie Sie ungeduldig das Haar zurückstrichen, als würde es Sie stören. Sie waren sich dieser Gesten überhaupt nicht bewusst. Und genau darin lag die Faszination: dass Sie sich Ihrer Einzigartigkeit nicht im Geringsten bewusst waren. Schon damals habe ich erkannt, dass Sie über das Talent verfügen, den Männern das Herz zu brechen – falls Sie es jemals entdecken würden. «
Antonina fragt sich, ob er tatsächlich von ihr spricht oder sie vielleicht mit einer anderen verwechselt. Nie hat jemand sie als eine begehrenswerte Frau bezeichnet.
Das Kerzenlicht wirft flackernde Schatten auf ihr Gesicht. Sie ist geübt darin, ihre Gefühle zu verbergen. Walentin blickt indes hinter ihre Maske. Er ist nicht nur Musiker. Er weiß genau, was Frauen hören wollen, wie sie von
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