Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
und um mich von … von … der Versuchung fernzuhalten. «
» Versuchung? «
» Dem Trinken, Grischa. Dem Wein und dem Wodka. « Sie will die Lippen befeuchten, aber ihr Mund ist ausgetrocknet. » Ich kann nicht … so weitermachen. Ich muss damit aufhören, mich damit zu trösten. Immer wieder versuche ich, mein Leben damit erträglicher zu machen, aber das Gegenteil ist der Fall. Es macht mein Leben noch unerträglicher. Es macht alles nur noch schlimmer. Schau nur, was es aus mir gemacht hat … wie schwach ich geworden bin. Lange habe ich mir eingeredet, dass es mich stark macht. «
Unvermittelt beginnt sie zu zittern, sie beugt sich vor und hält sich den Unterleib. Sie legt sich wieder auf die Seite, zieht die Knie an und schließt mit einem kaum hörbaren Stöhnen die Augen.
Während die Holzscheite allmählich Feuer fangen, beobachtet Grischa sie. Sie scheint in einen schlafähnlichen Zustand gefallen zu sein, auch wenn sie bisweilen zuckt und in unnatürlich starrer Haltung daliegt.
Dann öffnet sie wieder die Augen und stößt einen erschrockenen Schrei aus, als sie ihn erblickt. » Ich habe vergessen … ich dachte, ich hätte nur geträumt, dass du da bist. Dass du gekommen bist, um mich zu retten. «
Grischa muss sich abwenden, damit Antonina nicht sieht, wie sehr ihre Worte ihn berühren. Hat sein Bruder nicht das Gleiche zu ihm gesagt, nur wenige Tage zuvor, bevor er in seinen Armen starb? Aber Antonina wird nicht sterben. Oder doch? Noch kann er ihr helfen, während er seinem Bruder nicht mehr helfen konnte.
» Ja. Ich bin hier. Ich bin hier. « Er dreht sich wieder zu ihr um und ergreift ihre Hand. Sie ist eiskalt, wenngleich die Innenseite feucht ist. Ihre Finger fühlen sich schlaff an. » Ist dir schon ein bisschen wärmer? «
Sie nickt, obwohl sie noch immer mit den Zähnen klappert.
Als er die Decken beiseiteschiebt, sieht er, dass die Vorderseite ihres Kleides mit Erbrochenem befleckt ist. Er erkennt auch seine bestickte Weste – sie hat sie die ganze Zeit gehalten, während sie schlief. Ein warmes Gefühl durchströmt ihn. Er zieht sie an sich und hält sie in den Armen. Sie schmiegt den Kopf an seine Wange wie ein Kind, das sich trösten lässt.
Dann steht er auf und trägt sie zum Sofa. Sie scheint noch leichter geworden zu sein. Er bettet sie darauf und wickelt eine Decke um sie herum. Trotzig schiebt sie sie zurück und setzt sich auf.
» Leg dich hin, Antonina « , sagt er, » und versuch zu schlafen. «
» Ich kann nicht. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich schreckliche Dinge. Als hätte ich Albträume, dabei habe ich das Gefühl, gar nicht zu schlafen. «
» Es hört bestimmt bald auf. «
» Manchmal habe ich sogar bei geöffneten Augen Albträume. Ich habe abgrundtiefe Angst, Grischa. « Wieder zieht er sie in seine Arme. » Wie lange wird es wohl dauern, bis es mir wieder besser geht? «
» Nicht mehr lange « , sagt er. » Ich weiß, dass du dich bald besser fühlen wirst. « Er weiß es nicht mit Bestimmtheit, aber inzwischen dürfte kein Alkohol mehr in ihrem Körper sein – sie ist jetzt schon den dritten Tag hier. Ihr Körper erinnert sich nur noch daran und verlangt nach ihm. Bestimmt ist es ähnlich wie die Begierde, die in ihm brennt: Seit er sie einmal besessen hat, sehnt sich sein Körper nach ihr. Er weiß, wie hartnäckig diese Erinnerung sein kann.
Er streicht ihr das Haar aus der Stirn. Es ist zerzaust, die Kämme ragen kreuz und quer hervor.
Sie hebt die Hand und zieht die Kämme einen nach dem anderen heraus. Er setzt sich neben sie und sieht ihr zu. Als die letzte lange Haarsträhne bis zu ihrer Hüfte herabgefallen ist, atmet er tief ein und aus. Dann fährt er mit den Fingern durch ihr Haar. Es ist fein und zugleich dicht und schwer.
Er weiß, was ihre Geste bedeutet: Sie lässt zu, dass er sie im Zustand völliger Schwäche sieht. Aber vielleicht ist es gar nicht Schwäche, sondern im Gegenteil Stärke. Sie sagt ihm auf ihre Weise, dass sie ihm vertraut. Sie zeigt sich ihm in ihrer seelischen Nacktheit, und das erfordert Stärke.
» Ich mache dir Tee. « Als er aufsteht, um sich in die Küche zu begeben, ergreift sie seine Hand. » Lass mich nicht allein, Grischa. «
» Ich gehe doch nur in die Küche, Antonina. «
Wieder zittert sie und beißt sich auf die wunden Lippen. Er sieht, wie auf ihrer Unterlippe ein neuer Riss entsteht und eine Blutperle heraustritt.
Grischa verspürt den Impuls, sie wegzulecken, und verflucht sich sogleich.
Weitere Kostenlose Bücher