Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Wie kann er nur so etwas denken, wo sie in einem so erbärmlichen Zustand und so verletzlich ist? In der Küche wirft er einen Blick auf die Lebensmittel, die Antonina offenbar kaum angerührt hat. Er macht ein Feuer im Herd und füllt den Wasserkessel. Dann stellt er sich in die offene Tür und sieht sie quer über den Raum hinweg an.
» Gestern Nacht habe ich versucht, mir Mut zu machen, indem ich Gedichte aufsagte « , sagt Antonina. » Kennst du Puschkins ›Winterabend‹? «
Er nickt.
» Ist es nicht merkwürdig? Als ich es laut aufsagte, wurde mir bewusst, dass es genau von meinem Leben handelt. » Wirbelt Sturm den Schnee in Säulen « , beginnt sie zu rezitieren.
» Hüllt den Himmel ein geschwind.
Heult bald wie die Wölfe heulen,
Weint bald wieder wie ein Kind.
…
Trinken wir den Rest, du Gute.
Meiner Jugend Pflegerin,
trinken wir aus schwerem Mute,
Leichter wird dann unser Sinn! «
Antoninas Gesichtszüge beleben sich ein wenig: der klägliche Versuch zu lächeln. » Sogar Puschkin fordert mich zum Trinken auf « , sagt sie bitter. » Ein Gedicht über den Winter und Wölfe und ein verlorenes Kind und das Trinken. Ha! Es ist schon schwer, findest du nicht auch? Aber hier habe ich keine Wahl. Hier gibt es keinen Wodka. Sobald ich jedoch wieder in Angelkow sein werde … meinst du, ich schaffe es, Grischa? « Der Wasserkessel gibt ein leises Ploppen von sich . » Es muss für immer sein. Für immer. «
Grischa sieht sie einen weiteren Moment an, dann dreht er sich um. Er gießt Tee auf und legt Brot und ein paar Wurstscheiben auf einen Teller.
Der Tee dampft im Glas und schmeckt süß, weil er ihn mit einem großen Zuckerstück gesüßt hat. Er deutet auf das Brot. Sie schaut es an, dann nimmt sie einen winzigen Bissen von einer Scheibe. Sie kaut, bringt es aber nicht herunter. Sie würgt es wieder hoch und spuckt es in die Hand.
» Tut mir leid. Ich kann nichts essen, Grischa. Mein Magen … Mir war schrecklich übel. «
» Das Brot ist zu hart, und die Wurst … die ist natürlich auch nichts. Trink einfach den Tee. «
» Weißt du, wie man eine Suppe macht? «
Er legt ihr eine Hand auf die Schulter. » Schlaf jetzt, und wenn du wieder aufwachst, ist die Suppe fertig. «
Nachdem sie in einen unruhigen Schlaf gefallen ist, macht Grischa aus der Wurst, den Kartoffeln und dem eingelegten Kohl einen Eintopf. Er blickt sich in der Küche um, ruft sich ins Gedächtnis, dass ihm die Datscha nicht länger gehört. Sie ist jetzt wieder im Besitz des Prinzen Bakanew; sie befindet sich auf dem Stück Land, das Grischa ihm abgekauft hatte und für kurze Zeit besaß. Er hält sich nicht lange bei dem Gedanken auf, was er verloren hat. Stattdessen geht er in den Schuppen, um weiteres Holz zu hacken. Dann sorgt er dafür, dass ein ordentliches Feuer im Kamin prasselt, damit es im Wohnzimmer behaglich warm ist. Funken steigen auf, und das Holz knistert. Er setzt sich neben das Sofa und beobachtet Antonina, die immer wieder zuckt und mit den Beinen strampelt. Ein Schweißfilm bedeckt ihr Gesicht und ihren Hals. Sie runzelt die Stirn und stöhnt, einmal schreit sie auf. Er nimmt ihre Hand. » Schlaf, Tosja, schlaf « , murmelt er und wischt ihr mit seinem Taschentuch über Stirn und Hals.
Am späten Nachmittag setzt sie sich auf. » Mein Kopf « , sagt sie. » Er pocht und pocht. « Ihre Pupillen sind ein wenig geweitet.
» Wenn du etwas gegessen hast, geht es dir bestimmt besser. Willst du versuchen, ein bisschen Suppe zu dir zu nehmen? «
Sie nickt, und er geht in die Küche, um mit einer dampfenden Schüssel und einem Löffel zurückzukehren. Er hält die Schüssel, während sie den Löffel hineintaucht, aber ihre Hand zittert zu sehr. Also beginnt er sie zu füttern, doch bereits nach ein paar Löffeln schüttelt sie den Kopf.
» Das war doch schon mal ein Anfang. Später isst du mehr. « Er trägt die Schüssel in die Küche zurück.
» Grischa? « , ruft sie. » Bringst du mir bitte ein Glas Wasser? «
Als er ihr das Wasserglas reicht, lässt sie den Blick darauf verweilen. » Das werde ich von nun an trinken, Grigori Sergejewitsch. Ich habe einen Pakt mit Gott geschlossen. «
» Gut. «
» Glaubst du mir? Glaubst du an mich? «
» Ich glaube an dich, Antonina Leonidowna « , sagt er, und ein Übermaß an Zärtlichkeit durchströmt ihn – ihr Gesicht und ihre Stimme sind so ernst –, dass er nicht anders kann, als sie zu berühren. Er legt seine Hand seitlich an ihr Gesicht.
Sie
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