Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
schmiegt das Gesicht in die Wölbung seiner Hand und legt ihre Hand auf seine. Lange bleiben sie so. Bis sie schließlich sagt: » Ich brauche ein Bad. «
Er erhitzt Wasser in zwei großen Kesseln und schafft die große Zinnwanne in die Küche, die an einem Haken auf der hinteren Veranda hängt. Er stellt sie vor den Herd, der seine Hitze in der Küche verströmt.
» Warte, ich hole dich gleich, Antonina! « , ruft er, während er warmes Wasser in die Wanne gießt. Doch sie kommt bereits allein, langsam und hält sich am Türrahmen fest. Sie blickt in das dampfende Wasser, und dann beginnt sie, langsam, wie ein alter oder kranker Mensch, das Kleid aufzuknöpfen. Sie streift es von den Armen und lässt es auf den Boden gleiten. Dann schält sie sich aus ihren Strümpfen, zieht die Schuhe aus und zieht das Unterkleid über den Kopf. Die ganze Zeit sieht sie ihn an. Ihre Oberlippe zittert.
Antonina ist schrecklich dünn geworden, eine schlanke, blasse Blume, die sich aus ihrer Blütenhülle schält; ihr Bauch wölbt sich nach innen, ihre Hüft- und Schulterknochen treten hervor.
Er streckt die Hand aus; sie ergreift sie und stellt sich in die Wanne; dann setzt sie sich mit angezogenen Knien ins Wasser. Er tritt hinter sie und beugt sich über sie, um ihr Haar mit einer Hand zusammenzuraffen, während er mit der anderen einen Schöpflöffel nimmt und Wasser über ihre Schultern gießt. Sie wölbt den Rücken und lässt den Kopf sinken. Ihr Nacken ist so weiß, so verletzlich. Er kann jeden einzelnen Wirbel erkennen, würde am liebsten jeden einzelnen küssen. Stattdessen nimmt er einen Waschlappen, taucht ihn ins Wasser und fährt so behutsam damit über ihren Rücken, als wäre ihre Haut delikates Papier.
Zärtlich wäscht er ihr Hals, Schultern, Oberarme.
Antonina lässt die Stirn auf die Knie sinken und schlingt die Arme um die Knie. Ihr Körper ist endlich zur Ruhe gekommen, das Zittern hat aufgehört, ihr Atem ist gleichmäßig und ruhig, sodass sich Grischa fragt, ob sie vielleicht wieder eingeschlafen ist. Er lässt den Waschlappen sinken und behutsam ihr Haar los, ehe er das saubere Laken holt, das er über einen Stuhl vor dem Herd gebreitet hat, um es zu wärmen. » Komm « , sagt er, indem er es ausbreitet und ihr einladend hinhält. Sie hebt den Kopf und sieht ihn an. Ihre Pupillen sind noch immer leicht geweitet. Wieder nimmt sie die ihr dargebotene Hand, um sich von ihm aus der Wanne helfen zu lassen. Er wickelt das warme Laken um sie und drückt sie an sich.
Er ruft sich in Erinnerung, was Lilja in der Küche gesagt hat: Sie verdient es, geliebt zu werden.
» Ich möchte dich lieben, Antonina « , sagt er so leise, dass sie den Kopf neigen muss, sodass ihr Ohr ganz nah an seinem Mund ist, um ihn zu verstehen.
Sie sagt nichts. Hat sie ihn überhaupt verstanden? Er hat dergleichen noch nie zu einer Frau gesagt. Er weiß selbst nicht, was er damit meint – will er mit ihr schlafen oder sie ganz einfach nur lieben? Doch plötzlich hat beides ein und dieselbe Bedeutung. Sie fühlt sich so schmal an in seinen Armen, so zerbrechlich. Wie hat er sie im September geliebt, ohne ihr wehzutun?
» Können wir ins Wohnzimmer zurückgehen? « , fragt sie, und wie zuvor schon hebt er sie mühelos auf seine Arme. Wieder schmiegt sie sich an ihn, voller Vertrauen, und er fühlt sich so stark wie noch nie. Als könnte er sie immer auf seinen Armen tragen.
Er legt sie aufs Sofa und geht zum Kamin, um Holz nachzulegen.
» Grischa? « , sagt sie, und er dreht sich zu ihr um.
» Komm bitte. Und setz dich zu mir. «
Er tut es, und sie nimmt seine Hand – diesmal nimmt sie seine Hand – und sagt: » Du darfst mich nicht lieben, Grischa. «
Sie hat seine Worte also doch gehört.
» Und ich darf dich nicht lieben. «
» Aber du hast mich doch schon mal begehrt, Antonina. Du wolltest mich, und dann wolltest du mich nicht mehr. Ist es, weil ich nur dein Verwalter bin? « Wieder ist er verwirrt, wieder spürt er einen Anflug von Wut. » Bei Walentin Wladimirowitsch hat es dich doch auch nicht abgehalten. Du hast dich ihm hingegeben, trotz des Standesunterschieds. « Er hat Mühe, seine Stimme zu beherrschen.
Sie zieht die Augenbrauen zusammen. » Ich – mich ihm hingegeben? Nein, das habe ich nicht. Er hat mich einmal geküsst. Aber es hat mir nichts bedeutet. « Sie schließt fest die Augen und öffnet sie wieder. » Der arme, arme Mann « , sagt sie, und jetzt weiß Grischa, dass Lilja ihr erzählt hat, er sei
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