Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
bestehende Theatertruppe. Sofern das Orchester nicht gerade bei den auf dem Gut abgehaltenen gesellschaftlichen Vergnügungen aufspielte, lieh er es auch an benachbarte Grundbesitzer aus, die nicht über die Mittel für ein eigenes Orchester verfügten. Zu dem Gut gehörte auch ein eigenes Theatergebäude. Während die Musiker der Leibeigenenorchester ausschließlich männlich waren, bestanden die Schauspieltruppen aus Mitgliedern beider Geschlechter. Die Männer und Frauen, die ihren Gesang oder ihre Stücke für die Bühne einstudierten, lebten in getrennten Quartieren auf dem Gut, eine Beziehung untereinander war ihnen untersagt. Sie durften keine Familie gründen.
Während die leibeigenen Schauspieler und Schauspielerinnen – die hauptsächlich nach ihrer äußerlichen Erscheinung ausgewählt wurden – erst als Jugendliche eine Ausbildung erfuhren, wurden die leibeigenen Musiker schon in wesentlich jüngerem Alter ihrer Bestimmung zugeführt. Der Grundbesitzer rekrutierte sie entweder unter seinen eigenen Leibeigenen, oder er schickte seinen Dirigenten zu den umliegenden Gütern, auf der Suche nach musikalisch begabten Jungen. Jene, auf die die Wahl fiel, wurden gekauft und ihren Familien weggenommen, dann begann ihre musikalische Ausbildung. Die Mitglieder der Leibeigenenorchester oder -theater wussten genau, dass ihnen Unheil drohte, falls sie bei einer Aufführung eine falsche Note spielten oder beim Aufsagen ihres Textes ins Stocken gerieten. Je nach Persönlichkeit und Laune ihres Herrn wurden sie entweder mit Peitschenhieben bestraft oder, schlimmer noch, zu niedriger Arbeit auf dem Gut degradiert oder dazu verdammt, künftig in einer armseligen Hütte im Dorf zu hausen und auf den Feldern zu schuften. Für einen ausgebildeten Musiker war es ein furchtbares Schicksal, sein Instrument abgeben zu müssen und zu wissen, dass er nie wieder Musik spielen würde, etwas, was ihm zu seinem Leben geworden war. Von heute auf morgen sollten Hände, die fähig gewesen waren, einem Cello oder einer Violine ein delikates Crescendo zu entlocken und vornehme Damen zu Tränen zu rühren, auf immer und ewig nur noch den Griff einer Schaufel, einer Heugabel, eines Pfluges oder einer Sense halten.
Eine Schauspielerin, die die Erwartungen ihres Herrn nicht erfüllte, setzte indes ihre kunstvollen Kostüme und ihr Leben auf der Bühne vor einem anerkennenden Publikum aufs Spiel. Wenn sie entlassen wurde, musste sie womöglich bis an ihr Lebensende in einer feuchten Küche Rüben und Kartoffeln schälen und schneiden oder wurde wie ihre männlichen Kollegen zu harter körperlicher Arbeit auf dem Feld verurteilt.
Viele Schauspielerinnen hatten ihre dramatische und stimmliche Ausbildung in Moskau oder St. Petersburg absolviert, wo sie ein weniger beaufsichtigtes, ja, fast ein bohemeartiges Leben geführt hatten. Und sie kannten die Spielregeln, die ein solches Leben mit sich brachte. Sie wussten nicht nur, wie man einen Mann im Bett zufriedenstellte, sondern auch, wie man sich vor einer ungewollten Schwangerschaft schützte. Und wenn eine von ihnen Prinz Olonow doch einmal ein Missgeschick beichten musste – nicht ohne zu beteuern, dass dies natürlich ihre Schuld sei –, hatte er nichts weiter zu tun, als ihr ein Bündel Rubel zuzustecken, und sie sah zu, wie sie sich dieses Problems diskret entledigte.
Für seine Stelldicheins bediente sich der Prinz seiner Sommerdatscha, die ein paar Werst vom Gutshaus entfernt stand und die er auch den Winter über beheizen ließ. Es handelte sich um ein gemütliches und hübsch eingerichtetes Sommerhaus, wenngleich es freilich mit der Eleganz und Pracht des Gutshauses nicht mithalten konnte. Er legte gegenüber seinen jeweiligen Geliebten durchaus einen gewissen Respekt an den Tag. So kaufte er ihnen schöne Kleider und hübschen Schmuck und verwöhnte sie mit romantischen Abendessen und erlesenen Weinen. Er hofierte sie und machte ihnen Komplimente über ihr Aussehen und ihr Talent. Und wenn seine jeweils aktuelle Geliebte auf der Bühne seines Theaters auftrat, das am Ende der Lärchenallee stand, und er verstohlen den Blick durch das Publikum wandern ließ und die beifälligen Mienen gewahrte, überkam ihn ein Anflug von Stolz. Manchen seiner Mätressen hielt er über ein Jahr lang die Treue und begann aufrichtige Gefühle für sie zu hegen.
Aber irgendwann wurde er jeder von ihnen überdrüssig, oder ein anderes weibliches Mitglied stach ihm ins Auge, das erst kürzlich zur Truppe
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