Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Vierjährige zeige. Eines Tages bat er Prinz Olonow in den Musiksalon, wo Antonina auf dem mit einem dicken Kissen erhöhten Klavierhocker saß. Der alte Mann spielte Antonina eine vereinfachte Version einer Mozart-Sonate vor, und Antonina spielte die Melodie nach, während sie die kleinen Finger erstaunlich weit über die Tasten spreizte.
Prinz Olonow lächelte stolz, vielleicht auch ein wenig zärtlich. Doch das musikalische Talent seiner Tochter war für ihn von untergeordneter Bedeutung. Klavier zu spielen zählte zu den Fertigkeiten, die man von jungen Damen aus dem Adelsstand erwartete. Sobald sie alt genug waren, in die Gesellschaft eingeführt zu werden, mussten sie ein gewisses Repertoire an gefälligen Stücken beherrschen. Sie spielten auf kleineren Soireen und bei Zusammenkünften zur Unterhaltung von Familie und Bekannten, unter denen sich, wie man hoffte, auch ihr zukünftiger Verlobter finden würde. Mochte eine junge Adelige auch ein außergewöhnliches musikalisches Talent zeigen, sie konnte es stets nur innerhalb der Grenzen ihres häuslichen Wirkungskreises entfalten. Die professionelle Darbietung indessen war den Orchestern vorbehalten, die aus eigens für diesen Zweck ausgebildeten Leibeigenen bestanden.
Für eine junge Adelige wie Antonina zählte das Klavierspiel neben dem Gesang, dem Rezitieren von Gedichten, dem Sticken, einer erlesenen Handschrift und der Geschicklichkeit im Kartenspiel zu dem Paket an Fähigkeiten, die dazu angetan waren, einen geeigneten Heiratskandidaten auf sich aufmerksam zu machen. Allerdings hätte es in Antoninas Fall wohl kaum eine Rolle gespielt, wäre sie unansehnlich gewesen oder hätte sie miserabel Klavier gespielt, denn sie hatte eine beträchtliche Mitgift zu erwarten. Es galt als sicher, dass die Verehrer, angelockt von ihrem Reichtum, Schlange bei ihr stehen würden, und Antoninas Vater machte sich berechtigte Hoffnungen, sie eines Tages in eine reiche Familie zu verheiraten.
Mochte ihr Vater von ihren Fähigkeiten halten, was er wollte, Antonina verfolgte mit großem Enthusiasmus ihre private musikalische Karriere. Die täglichen Stunden, die sie am Klavier verbrachte, bereiteten ihr unendlich viel Vergnügen. Glücklich entdeckte sie die strengen Akkorde von Bach, die sie an die dunkle, weihrauchgeschwängerte Welt der Kirche gemahnten. Ebenso liebte sie die von atemberaubenden Trillern durchsetzte Musik Beethovens oder die beschwingteren und leichtfüßigeren Sonaten Schuberts, die sie an die Klänge des Waldes erinnerten. Ihr Lieblingskomponist indes war Michail Glinka, dessen delikate, nuancenreiche Musik sie besonders berührte.
Der junge Glinka, ein russischer Adliger, der in Mailand und Berlin studiert hatte, war der erste Komponist, der in den Jahren nach Antoninas Geburt russische Opern komponierte. Sie liebte den ländlichen Charakter seiner Musik, insbesondere seine abfallenden Quarten, in denen sich für Glinka die Seele der russischen Musik spiegelte. Als sie zwölf war, beherrschte sie bereits eine große Anzahl seiner Mazurkas und Polonaisen ebenso wie die längeren und schwierigeren Fugen und Nocturnes, in denen sie ihre ureigensten Gefühle ausgedrückt fühlte.
Während sich ihr Vater gelegentlich zu ihr in den Musiksalon setzte und mit einem Lächeln auf den Lippen ihrem Spiel lauschte, ließ sich ihre Mutter nie dort blicken, es sei denn, sie richtete eine Soiree aus.
Antoninas Mutter zog das Leben in der Stadt vor. Nur die Sommermonate verbrachte sie mit ihrem Gatten und den Kindern auf ihrem Landsitz. Im Winter jedoch, wenn das Land unter einer dicken Schneedecke versank, wollte sie das gesellschaftliche Leben Sankt Petersburgs nicht missen.
Prinzessin Olonowa hatte ihrer Pflicht als Ehefrau Genüge getan und ihrem Gatten vier Kinder geschenkt, nicht mehr und nicht weniger, um es dann einem Heer aus mehr oder minder engagierten Kindermädchen und Gouvernanten zu überlassen, sich um sie zu kümmern und sie zu erziehen. Die drei Jungen waren ihr zu grob und ungestüm, außerdem hafteten ihnen oft unangenehme Gerüche an, die sie von den Feldern und aus den Stallungen mit ins Haus brachten. Als Antonina noch ein Kleinkind war, hob ihre Mutter sie gelegentlich auf den Arm und streichelte ihr übers Haar, als wäre sie eine Puppe oder ein niedliches Haustier, aber als sie älter wurde, verlor sie auch an ihrer Tochter das Interesse.
Galina Olonowa war nicht nur für ihre Schönheit berüchtigt, sondern auch für ihre Launen und
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