Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
fragte sie und dachte an ihre schweißgetränkte Bluse und ihr zerschlissenes Kopftuch. Sie bemühte sich, ebenfalls zu lächeln. » Besuchen Sie den Grafen? «
Dies war ein anderes Lächeln als das, woran sich Antonina erinnerte. Es wirkte ungeübt, als hätte Lilja es verlernt. » Nein « , sagte sie. » Ich bin nicht zu Besuch. Arbeitest du hier? « , fragte sie und saß ab.
» Ja. Ich lebe seit fast vier Jahren auf dem Gut. «
Diese Antwort versetzte Antonina einen schmerzhaften Stich.
» Hierher hat mein Vater dich also geschickt? «
Lilja nickte.
Einen Moment lang sahen sich die beiden Frauen an, jede in ihre eigenen Gedanken versunken. Schließlich fragte Antonina: » Und Ljoscha? « Sie fürchtete, dass der Junge womöglich gestorben war.
Lilja war froh, über etwas anderes sprechen zu können. » Er ist mager, aber er wächst und ist jetzt gesund und munter wie die andern Buben in seinem Alter. «
» Gut, das ist eine gute Nachricht « , sagte Antonina. Wieder herrschte eine Weile Schweigen. » Wie geht es dir?« Was für eine dumme Frage. Es war ja offensichtlich, wie schlecht Lilja aussah. » Es ist heiß heute « , fügte sie rasch hinzu.
Lilja wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. » Ja. Ein warmer Tag für Oktober, Prinzessin « , erwiderte sie, und wieder lächelte sie dieses unnatürliche Lächeln.
» Oh, du solltest mich übrigens nicht mehr Prinzessin nennen « , sagte Antonina. » Ich bin jetzt … Gräfin Mitlowskaja. «
Antoninas Augen weiteten sich. » Sie haben den Grundbesitzer geheiratet? «
» Ja, erst vor einem Monat. « Lilja war so dünn geworden, und blass, ja fast grau im Gesicht. Sie hatte dunkelviolette Augenringe, als hätte sie schon lange nicht mehr richtig geschlafen. Ihr Gesicht und die Bluse waren schweißgetränkt.
Als sie vor vier Jahren hierhergekommen war, hatte Lilja den Grundbesitzer hin und wieder vorbeireiten sehen, an der Seite seiner hochmütigen Frau. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Antonina mit einem solch alten Mann verheiratet war. » Wir wussten natürlich, dass er wieder geheiratet hat. Auch haben wir gehört, dass seine junge Frau von einem Gut in Pskow stammt. Diese Heirat … war es Ihr Wunsch? «
Diese Frage gehörte sich nicht, das wusste Lilja sehr wohl, aber solange Antonina ihr nicht klar und deutlich sagte, sie könne nicht so vertraut mit ihr reden, würde sie fragen, was ihr auf dem Herzen lag.
» Es war das Beste für alle Beteiligten « , sagte Antonina, und sie sah, dass Liljas Gesichtsausdruck weicher wurde.
» Also keine Liebesheirat? «
Als Lilja unvermittelt diese Frage stellte, war es, als hätte es die letzten vier Jahre nicht gegeben und als handelte es sich um eines ihrer regelmäßigen Sonntagstreffen aus der Zeit, als sie noch Freundinnen waren. Antonina schüttelte den Kopf.
» Und sind Sie … « Lilja unterbrach sich und leckte sich über die Lippen. » Sind Sie glücklich mit Ihrem Ehemann? «
» Es ist noch zu früh, um diese Frage zu beantworten, Lilja. «
Zwischen Liljas dunklen Augenbrauen erschien eine steile Falte. » Ich bin auch verheiratet. «
» Behandelt dich dein Mann gut? « , fragte Antonina und ließ den Blick über die gekrümmten Rücken der anderen Bauern schweifen.
» Soso – Iosif Igorewitsch – ist kräftig und arbeitet viel. «
» Nun, ich hoffe, er ist auch nett zu dir, Lilja Petrowna. Du hast es verdient, dass man freundlich zu dir ist. «
Wieder herrschte eine Weile Schweigen, diesmal ein unbehagliches, bis Lilja fragte: » Haben Sie inzwischen einen eigenen Hund? « Diese Frage war so unerwartet, und Antonina fühlte sich mit einem Mal so befreit, dass sie lachen musste. Und der kehlige Laut, den Lilja von sich gab, konnte ebenfalls als Lachen durchgehen.
» Ja, sie heißt Tinka und ist noch ein Welpe. Ein süßes kleines Ding. Sie folgt mir auf Schritt und Tritt. Kaum setze ich mich hin, will sie auf meinen Schoß. «
» Das ist schön. «
Antonina betrachtete Liljas magere Gestalt, und erneut durchfuhr sie ein Stich. » Hast du Kinder? «
Ihr Gesicht wirkte mit einem Mal leblos. » Nein, Gräfin. Und jetzt muss ich wieder an meine Arbeit. Ich halte die anderen auf. «
» Natürlich. «
Lilja griff zu ihrer Sense. Es schmerzte Antonina, dass Lilja es so eilig hatte, wieder zu ihrer Arbeit zurückzukehren, wo sie sich gern noch ein wenig länger mit ihr unterhalten hätte.
» Auf Wiedersehen, Gräfin « , sagte Lilja und begann, wieder die Sense zu
Weitere Kostenlose Bücher