Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
als die der meisten Dorfbewohner, und statt der derben Sandalen aus Birkenrinde hatte er Lederstiefel an. Lilja vermutete, dass er seine Sonntagskleidung trug, und war froh, dass er sich die Mühe gemacht hatte, sich von seiner besten Seite zu zeigen, während er sich ihr als ihr zukünftiger Mann vorstellte.
Er lächelte, und auch wenn er versuchte, sich selbstsicher zu geben, erkannte Lilja, dass er nervös war. Gleich wie, die saubere Kleidung und das Lächeln genügten ihr. So oder so musste sie bald jemanden heiraten. Sie schätzte ihn auf zehn Jahre älter als sie, aber wenigstens hatte er keinen Stall voll verlauster Kinder, die sie versorgen musste. Ohne zu zögern nickte sie zum Zeichen, dass sie einverstanden war.
Danach kam Soso alle paar Tage abends in ihre Hütte. Er sprach nicht viel, und er wirkte ziemlich einfältig auf Lilja. Manchmal brachte er einen in Papier eingeschlagenen Fisch oder ein paar Eier mit, die er aus seiner Jackentasche zum Vorschein brachte. Bei einem seiner Besuche hockte er sich sogar vor Ljoscha auf die Fersen und fischte einen Klumpen Zucker aus seiner Tasche.
Als er ihn Ljoscha reichte, lächelte der Junge, was selten genug geschah, und Lilja dachte, dass der Mann vielleicht nicht so übel war.
Einen Monat nach ihrem fünfzehnten Geburtstag wurden Lilja und Soso getraut; Soso war sechsundzwanzig, wie sie inzwischen wusste. Sie und Ljoscha zogen zu ihm in die ebenfalls nur aus einem Raum bestehende Hütte, wo Soso bereits mit seiner ersten Frau gewohnt hatte. Wie in jeder Hütte gab es einen Lehmofen auf dem irdenen Boden, einen einfachen Tisch und eine Bank an einer Wand. Die einzige Dekoration bestand in einem kleinen Regal mit Kerzen, die an den Feiertagen angezündet wurden, und einer geprägten Metallikone der heiligen Muttergottes in einem Rahmen.
In der Hochzeitsnacht fand Soso heraus, dass seine Braut keine Jungfrau mehr war. Er hielt inne und blickte auf sie hinab, schlug sie hart auf beide Wangen und fuhr dann fort. Damit war das Thema für ihn erledigt.
Ljoscha behandelte er gleichgültig, weder war er freundlich noch brutal zu ihm. Manchmal ärgerte es ihn, dass Lilja ihrem kleinen Bruder so viel Zuneigung schenkte, andererseits schätzte er sich glücklich, dass er die Erlaubnis erhalten hatte, eine hübsche und hart arbeitende Frau heiraten zu dürfen. Wie ihr Bruder lächelte auch seine Frau nur selten, aber wenn es geschah, spürte Soso einen Anflug von Stolz.
Er stellte sich vor, dass sie bis ans Ende ihrer Tage so leben würden. Er und Lilja würden auf dem Feld arbeiten, und bald würde Ljoscha alt genug sein, um ihnen zu helfen. Sie würden eigene Kinder bekommen, wobei er hoffte, dass nicht allzu viele überleben würden, denn das würde Liljas Arbeitskraft schmälern, und er hätte noch mehr Mäuler zu stopfen.
SECHZEHN
A ntonina war seit einem Monat Gräfin Mitlowskaja, als sie Lilja wiedersah. Es war ein ungewöhnlich warmer und schwüler Tag Anfang Oktober.
Gefolgt von einem Leibwächter ritt sie im Schritt über einen Feldweg, der sich zwischen zwei goldenen Weizenfeldern dahinzog. Die Bauern ernteten Weizen, und einige machten gerade Pause, um ihr Mittagessen einzunehmen, das aus rohen Zwiebeln und einem Kanten Schwarzbrot bestand.
Da bemerkte Antonina eine junge Frau, die den Kopf in den Nacken legte, um Wasser zu trinken, das ihr über Kinn und Hals rann.
Die Frau drückte mit dem Handballen den Korken wieder in den Flaschenhals und beschattete dann mit der Hand die Augen, um zu der Gestalt auf dem Pferd hochzublicken. Wahrscheinlich ein Gast des Grundbesitzers, dachte sie. Niemand außer diesem oder gelegentlich einem seiner Gäste verirrte sich auf diesen Feldweg, der weit abseits der Hauptstraße lag.
» Lilja « , sagte die Frau, und die Flasche entglitt Liljas Händen. Mit einem dumpfen Geräusch fiel sie auf die Erde und blieb neben ihren Füßen liegen.
Sie sah Antonina ins Gesicht, ohne zu lächeln, noch sich zu verbeugen. Um sie herum machten die anderen Bauern mit raschelnden Röcken und Tuniken eine tiefe Verbeugung.
» Lasst uns allein « , sagte Antonina. Begleitet von dem gleichen raschelnden Geräusch ihrer groben Gewänder zogen sie sich, noch immer gebeugt, zurück, bis Antonina und Lilja allein waren, während ihr Leibwächter ein paar Meter entfernt auf seinem Pferd saß.
Nach einer Weile lächelte Antonina, auch wenn Lilja sah, dass sie ein wenig unsicher wirkte.
» Warum sind Sie hier, Prinzessin Olonowa? « ,
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