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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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alleweil die Nase hoch. Aber war sie deshalb eine Anstifterin zum Mord?
    Blieb nur noch Friedrich der Große, das alte Schlachtross. Der hatte drei Schlesische Kriege geführt, doch der dritte, der auch der Siebenjährige genannt wurde, lag über sechsundzwanzig Jahre zurück, und seitdem hatte er niemals wieder einen Krieg geführt. Er war friedlich geworden, vielleicht sogar weise, auch wenn er manches Mal wie ein Rohrspatz schimpfte und wie ein Specht auf das Burgfräulein einhackte.
    Als Alena mit ihren Gedanken so weit gediehen war, fühlte sie eine große Erleichterung. Abraham war frei von Schuld, das hatten ihr die Puppen verraten.
    Sie setzte sich zwischen den Schultheiß und die Magd.
    Dann flossen ihre Tränen.
     
     
    Abraham schlug den Kragen seines Gehrocks hoch. Er befand sich auf dem alten Wall, der Göttingen von alters her eingrenzte, und schritt kräftig aus. Doch es war kein Spaziergang, den er seit fast drei Stunden absolvierte, sondern eher eine Flucht vor den eigenen Gedanken.
    Eine Flucht, die nicht gelang, denn die Geschehnisse der vergangenen Nacht holten ihn immer wieder ein.
    Von Zwickows Herz hatte nur wenige Minuten nach dem Kampf aufgehört zu schlagen, zu einem Zeitpunkt, als Abraham und der Sterbende schon umringt waren von zahlreichen Gaffern. Doch er hatte sie nicht bemerkt, zu sehr war er bemüht, noch etwas für seinen Widersacher zu tun. Doch es war hoffnungslos gewesen. Abraham hatte mit ansehen müssen, wie von Zwickow keuchend und röchelnd sein Leben aushauchte. Gern hätte er den Sterbenden von der Spitze des Geländers befreit, um ihm Erleichterung zu verschaffen, gern hätte er ihm etwas Wasser eingeflößt, die Stirn abgetupft oder ein aufmunterndes Wort gesagt, doch es war alles viel zu schnell gegangen.
    Er hatte sich aufgerichtet und in die aufgerissenen Augen der Pommeraner geblickt. Wut, Rauflust und Aggression hatte er darin gelesen, doch ihm war nicht nach weiteren Auseinandersetzungen zumute gewesen. Deshalb hatte er nur gesagt: »Ihr seht selbst, dass der Geländerlauf ihn aufgespießt hat. Ich bin nur seinen Tritten ausgewichen. Dabei hat er das Gleichgewicht verloren.« Und ehe jemand widersprechen konnte, hatte er hinzugefügt: »Holt einen Arzt, damit er die Todesursache feststellt und den Totenschein ausfüllt. Und schafft einen Karren herbei. Der Tote kann nicht hierbleiben, er muss ins Leichenhaus.«
    Dann hatte er gewartet. Und während er wartete, hatten sich die großspurigen, trinkfreudigen Pommeraner einer nach dem anderen aus dem Staub gemacht. Heimlich, still und leise, denn mit einer Leiche und einer drohenden Untersuchung wollte keiner von ihnen etwas zu tun haben.
    Gegen Mitternacht war ein Arzt aufgetaucht. »Doktor Rauch«, hatte er sich vorgestellt. Abraham hatte ihm mit kurzen Worten den Hergang geschildert, und Rauch hatte genickt. »Was Ihr sagt, klingt plausibel. Ich werde den Totenschein ausstellen und dem Gang des Gesetzes Genüge tun. Doch fürchte ich, Ihr werdet noch die eine oder andere Unannehmlichkeit haben, bis die Sache ausgestanden ist. Ich darf Euch bitten, den Toten zum Leichenhaus zu begleiten, wenn der Wagen kommt. Ach ja, ich werde eine Kopie des Totenscheins anfertigen lassen, damit sowohl die Georgia Augusta als auch die örtlichen Behörden ein Exemplar bekommen können. Und nun entschuldigt mich, ich bin selber ein bisschen unpässlich. Als angehender Arzt wisst Ihr ja, was es bedeutet, Ödeme in den Beinen zu haben.«
    Abraham hatte noch bis in die frühen Morgenstunden auf den Wagen warten müssen, den Toten anschließend im Leichenhaus abgeliefert, eine Unterschrift geleistet und war dann ins Hospital gegangen. Doch auf dem harten Dielenlager in seiner Stube hatte er keine Ruhe gefunden. Nachdem er sich eine Zeitlang hin und her gewälzt hatte, war er aufgestanden und hatte seine Schritte auf den Wall gelenkt, wo stets ein frischer Wind blies.
    Doch die frische Luft hatte ihn nicht abgelenkt, sondern nur dazu geführt, dass er seine Lage umso klarer sah. Sie war ausweglos.
    Der Tod Reinhardt von Zwickows würde eine offizielle Verhandlung nach sich ziehen, in deren Mittelpunkt er stehen würde – als Angeklagter. Ob er seine Unschuld würde beweisen können, stand dabei in den Sternen. Wahrscheinlich nicht, denn die Familie von Zwickow galt als sehr einflussreich. Er dagegen war nur ein kleiner ehemaliger Puppenspieler, der zum fahrenden Volk gehört hatte. Und wohl auch noch immer gehörte.
    Wenn man ihn für

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