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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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wird wieder gut.«
    »
Naturellement
wird es das«, krächzte Friedrich der Große. »Lass dich nicht hängen, Kerl, sonst setzt es was mit dem spanischen Röhrchen! Denk an den Siebenjährigen Krieg, den hatten wir fast schon verloren, als die Schlampe Elisabeth, die Zarin von Russland, ihren letzten Seufzer tat. Daraufhin kam Peter, ich weiß nicht mehr, der Wievielte, auf den Thron. Dem hab ich erst mal ein
Compliment
zukommen lassen, ihm dann den
Hohen Orden vom Schwarzen Adler
verliehen, und
voilà,
schon schloss er Frieden mit mir. Der Rest war ein Kinderspiel. Denk an Freiberg anno 63, da haben wir das letzte Treffen gehabt und den Krieg gewonnen.«
    »Ja«, flüsterte Abraham, »das stimmt.«
    Er rieb sich die Augen. Die Bilder der Vergangenheit schwanden, doch sie hatten ihm Trost gespendet. Vielleicht würde tatsächlich alles irgendwie weitergehen und gut werden. Er stand auf und ging hinunter in die Kammer, in der die junge Mutter lag. Eine Amme saß neben ihrem Bett, den Busen entblößt, einen eifrig suckelnden Säugling daran. Abraham strich dem Kind über das Köpfchen, erkundigte sich nach dem Befinden, nickte, als er hörte, dass so weit alles in Ordnung sei, und stieg anschließend wieder hinauf in den Patientensaal, wo Pentzlin und Gottwald lagen. Ihr Zustand schien unverändert.
    Abraham setzte sich auf das leere Bett von Burck und kam neuerlich ins Grübeln. Besonders ein Gedanke ließ ihn dabei nicht los: Es war die Befürchtung, dass die unterschiedlichen elektrischen Ladungen der Influenzmaschine mittelbar mit Burcks Tod in Verbindung stehen könnten. Der Auslöser für den Tod, das schien klar, war die mysteriöse Drehung des Kopfes, für die von Zwickow gesorgt hatte. Was aber war, wenn nicht von Zwickow, sondern die Maschine die Drehung bewirkt hatte, sozusagen durch einen zeitlich verzögerten Effekt?
    Oder hatte von Zwickow mit dem Elektrophor absichtlich so hohe Ladungen erzeugt, dass Burck daran verstorben war? Theoretisch hätte das sein können, denn von Zwickow war ebenfalls Mediziner und verstand sicher auch etwas von Physik. Darüber hinaus wurde der Elektrophor in einem abgeriegelten, aber nicht verschlossenen Instrumentenschrank verwahrt. Die Maschine hätte einem, der Übles wollte, ohne weiteres zur Verfügung gestanden …
    Abraham erhob sich und ging hinüber zu dem Schrank. Der Elektrophor stand im untersten Fach an seinem Platz. Er nahm ihn heraus und betrachtete ihn. Sollte das Geheimnis von Burcks Tod in dieser Maschine begründet sein?
    Abraham stellte das Gerät wieder an seinen Platz und verließ eilig das Hospital.
    Er hatte einen Entschluss gefasst.
     
     
    Von den sieben Tagen der Woche hatte der
Schnaps-Conradi
sieben Tage lang geöffnet. Der schummrige Schankraum, der nur in das spärliche Licht von ein paar Tischkerzen getaucht war, belebte sich spätestens am Nachmittag. Am Abend jedoch, ab sechs Uhr, herrschte regelmäßig drangvolle Enge darin.
    Klingenthal betrat die Räucherhöhle und hatte das Gefühl, er renne gegen eine Wand aus Lärm, Qualm und Bierdunst. Hustend schob er sich zwischen den Zechern hindurch, dabei in alle Richtungen Ausschau haltend. Er hatte Glück, an einem Ecktisch saß Professor Lichtenberg, allerdings nicht allein, sondern in Begleitung von Ihren Königlichen Hoheiten, den Prinzen Ernst August, August Friedrich und Adolf Friedrich. Eigentlich hätten alle drei nichts an diesem Ort zu suchen gehabt, denn der Älteste war siebzehn, der Mittlere sechzehn und der Jüngste erst fünfzehn Jahre alt, aber in Begleitung des Professors war vieles möglich – unter anderem ein Verhalten, das durchaus nicht als standesgemäß gelten konnte. Ernst August, zum Beispiel, zog wieder an seiner billigen Pfeife, unter den
Burschen
»Tonprügel« genannt, und machte sich einen Spaß daraus, den Rauch aus den Ohren herauszublasen, während die beiden anderen Herrschaften sich gegenseitig mit einem Becher Bier zuprosteten und dazu mehr schlecht als recht ein englisches Trinklied schmetterten, das sich in den Londoner Herrenclubs gerade großer Beliebtheit erfreute:
    »To Anacreon in Heav’n,
    where he sat in full glee …«
    Lichtenberg selbst saß hinter einem Zinnteller mit dicken Scheiben Göttinger Mettwurst, grob und fein, gepfeffert und muskatiert, dazu ein paar Scheiben Edamer Käse. Er schien allerbester Laune zu sein, denn sein Kichern war über mehrere Tische hinweg zu hören. »Ah, was sehen da meine entzündeten Augen? Abraham, mein

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