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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Alena bahnten sich weiter ihren Weg, sahen linker Hand den Botanischen Garten und das Anatomische Theater, später die Reformierte Kirche und die Jacobi-Kirche und rechts voraus schon den Rathausturm, dazwischen Dutzende mehrstöckige Fachwerkhäuser mit Geschäften, Handwerksbetrieben und Gaststätten. Bei der Hausnummer 42, vor einem Schild mit der Aufschrift
Zur Krone,
machte Abraham halt. »Ich glaube, eine kleine Stärkung würde uns guttun«, sagte er. »Hast du Hunger, Liebste?«
    Alena nahm sich die Gurte von den Schultern. »Und ob, Abraham! Zu mehr als einem Kanten Brot war heute Morgen ja keine Zeit, wenn du dich erinnerst.«
    »Tja, nun.« Abrahams Gewissen regte sich. »Du weißt, wie mir die Zeit unter den Nägeln brennt. Aber jetzt sind wir da und holen das nach. Ich verspreche dir ein fürstliches Mittagessen!« Er verkeilte die Räder des Karrens und warf einen prüfenden Blick unter die Abdeckplane.
    Alena beobachtete ihn und musste lächeln. Abraham und seine Lieblinge! Wenn er ihr nicht immer wieder versichert hätte, sie sei für ihn das Kostbarste auf der Welt, hätte sie glauben mögen, die lebensgroßen Figuren seien ihm wichtiger. Aber dem war nicht so, und die Zeiten, da sie Eifersucht gefühlt hatte, lagen lange zurück. Mehr zum Scherz fragte sie: »Na, fehlt auch keine?«
    »Alle Mann an Bord, mien Deern«, antwortete der Schiffer. Seine Stimme klang etwas hohl, weil er unter der Plane steckte.
    »
Mon Dieu,
wie gern wäre ich auf der Burg geblieben«, näselte das Burgfräulein. »Stattdessen ist man nun wieder unter Krethi und Plethi!«
    »
Silentium,
alte Dörrpflaume!«, schimpfte Friedrich der Große.
    »Aber, aber Majestät …«, mahnte der Schultheiß.
    »Reg dich nicht auf, Fritz!«, rief der Schiffer. »Die alte Fregatte will doch nur beachtet werden. Klappern gehört zum Geschäft.«
    »Und trommeln auch!«, fiel der Söldner ein. »Du weißt doch, was unser Adelsfräulein nachts am liebsten tut?«
    »Nein, weiß ich nicht, aber du wirst es mir gleich
communitziren.
«
    »Das Adelsfräulein trommelt laut des Nachts auf seiner Jungfernhaut.«
    »Hähähä!« Das gefiel Friedrich.
    »Impertinent!«,
empörte sich das Burgfräulein.
    »Vertragt euch«, sagte die Magd.
    Abraham zog die Plane wieder zu.
    Alena trat auf das schmale
Trottoir.
»Da fehlte doch eben noch jemand?«
    »Wirklich, Liebste?« Abraham öffnete die Plane erneut. Ein herzhaftes Gähnen wurde hörbar. »Meintest du ihn?«
    »Ja, ihn meinte ich.«
    »Du weißt doch, er schläft gern ein bisschen länger.« Abraham nahm Alena beim Arm. Den Neugierigen, die wegen der seltsamen, unerklärlichen Stimmen stehengeblieben waren und Maulaffen feilhielten, rief er grinsend zu: »Das war nur der Landmann, Leute!« Dann betrat er mit seiner Frau die Gastwirtschaft.
    Drinnen herrschte ein ziemlicher Hecht, was von den qualmenden Tonpfeifen der zahlreichen Gäste herrührte. Die
Krone
war wie jeden Mittag gut besucht, denn der Wirt bot vier verschiedene schmackhafte Gerichte an, jede Portion zu zwölf Groschen. Das war nicht billig, aber die
Krone
lag im Zentrum Göttingens, an der belebtesten Straße überhaupt, und das musste in Rechnung gestellt werden. Abraham suchte und fand zwei leere Stühle neben dem Schanktisch. Sie nahmen Platz. Ihnen gegenüber saß ein schwerer Mann mit rotem Gesicht und zahlreichen geplatzten Äderchen auf den Wangen. Er rauchte ebenfalls Pfeife und verbreitete Schwaden von Qualm, die Alena die Tränen in die Augen trieben.
    Abraham wollte den Mann bitten, er möge seinen Rauch woandershin blasen, doch in diesem Moment nahm der Rotgesichtige die Pfeife aus dem Mund und sprach ihn an: »Fremd hier?«
    »Ja«, sagte Abraham.
    »Auf der Durchreise?«
    »Nein.«
    »Aha, dann bleibt Ihr also.«
    »So ist es.« Abraham blickte sich nach der Schankmagd um.
    »Ist das Eure Frau?«
    »Ihr habt es erraten.« Abraham fand, dass der Rotgesichtige ziemlich viele Fragen stellte.
    »Dann seid Ihr sicher ein Handwerker?«
    Abraham blieb die Antwort schuldig.
    »Oder Ihr wollt als Unteroffiziant irgendwo anfangen. Als ob wir in der Stadt nicht schon genug Boten, Diener und Aufwärter hätten. Na, nichts für ungut« – der Rotgesichtige paffte abermals dicke Wolken –, »jeder muss sehen, wie er zurechtkommt.«
    »Was darf’s sein?«, unterbrach die Schankmagd.
    »Was gibt es denn?«, fragte Abraham.
    Die Schankmagd leierte den Speiseplan herunter: »Bouillon-Suppe mit eingeschlagenen Eiern und Perlgraupen,

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