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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau
Autoren: Wolf Serno
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Gesottenes mit Reis und Bohnen, eingelegtes Gemüse mit Weißbrot, Schwarzbrot oder Mittelbrot, Brotplatte mit Mettwurst, Rotwurst, Schinken, dazu Rahmbutter, außerdem Salat aus Gurken und gekochten Früchten.«
    »Gibt es auch halbe Portionen?«, fragte Alena.
    »Da muss ich nachfragen.« Die Schankmagd verschwand.
    Abraham wollte sie aufhalten, aber sie war schon fort.
    Der Rotgesichtige trank den letzten Schluck seines Göttinger Biers. »Ihr seid nicht gut bei Kasse, scheint mir. Müsst gleich am ersten Tag schon sparen. Äh, nichts für ungut, es geht mich ja nichts an.«
    »Da habt Ihr zweifellos recht.«
    »Na, ich will dann mal.« Der Rotgesichtige klopfte die Pfeife in einer irdenen Schale aus. »Die Pflicht ruft. Ihr glaubt gar nicht, wie viel Arbeit die
Burschen
mir dieses Jahr wieder machen. Jeder will eine Stube, und die möglichst groß und umsonst.« Er stand auf und zückte seine Geldkatze, um am Schanktisch zu zahlen.
    »Einen Augenblick noch«, bat Abraham. »Verstehe ich Euch recht, dass Ihr den Studenten Unterkünfte zuteilt?«
    »Genau das ist meine Arbeit.« Der Rotgesichtige ließ zwei Münzen auf den Schanktisch fallen. »Ich bin Ulrich, wenn’s beliebt, der Logis-
Commissionair.
Aber eines sage ich Euch gleich: Ich bin von Amts wegen nur für Studenten zuständig. Wenn Ihr ein Zimmer sucht, müsst Ihr Euch schon selbst bemühen.«
    »Aber ich bin Student.«
    »Was sagt Ihr da?« Ulrich war so perplex, dass er sich wieder setzte.
    »Genauer gesagt: Ich muss mich noch für das Sommersemester immatrikulieren. Ich möchte Medizin studieren. Mein Name ist übrigens Kl…, äh, Abraham, Julius Abraham, und das ist meine Frau.«
    Alena grüßte freundlich.
    Ulrich hatte sich wieder erholt. »Ein verheirateter Student also, das haben wir nicht alle Tage. Wenn ich’s mir recht überlege, hatten wir das noch nie. Sehr ungewöhnlich. Auch Euer Alter will nicht recht passen. Äh, nichts für ungut, aber Ihr könntet eher der Vater eines
Burschen
sein.«
    »Halbe Portionen kosten sieben Groschen«, meldete die Magd.
    Abraham brauchte einen Augenblick, um sich auf sie zu konzentrieren. »Wieso sieben?«, fragte er dann und wies auf eine Kreidetafel. »Da steht
Gerichte à Portion
12
 Groschen.
Demnach müsste die Hälfte nur sechs kosten.«
    »Kann sein, ich sag nur, was der Wirt sagt.«
    »Dann nehme ich eine ganze Portion Gesottenes.«
    »Eine ganze Portion Gesottenes. Und was bestellt die Dame?«
    »Nichts.« Alenas Augen amüsierten sich. »Die Dame isst bei dem Herrn mit. Verteile also das Gesottene auf zwei Teller und bringe zwei Bestecke.«
    Ungerührt sagte die Magd: »Und zu trinken? Wollt Ihr auch bei dem Herrn mittrinken?«
    »Ich nehme einen Tee.«
    »Und ich ein Bier.« Abraham kam eine Idee. »Für den Herrn Logis-
Commissionair
ebenfalls eins.« Und bevor Ulrich dagegen protestieren konnte, sagte er: »Ihr macht mir doch die Freude und stoßt mit mir an?«
    Ulrich lächelte dünn. »Ich verstehe schon, ich soll Euch ein
convenables
Zimmer zuweisen, und das für möglichst kleine Münze.«
    Abraham lächelte entwaffnend. »Ihr seid ein kluger Mann.«
    »Der aber nicht zaubern kann.«
    »Zwei Bier die Herren. Der Tee dauert, das Gesottene auch.« Die Schankmagd verschwand wieder.
    »Erst einmal prosit!« Abraham hob sein Glas.
    »Prosit!«
    Beide tranken.
    Ulrich wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Um auf Euren Zimmerwunsch zurückzukommen, Herr
Studiosus in spe:
Ihr macht mir die Sache nicht leicht. Die Wirtinnen sind auf junge Herren eingerichtet, nicht auf Ehepaare.«
    »Ich brauche nicht viel Platz«, sagte Alena.
    »Nun, nun.« Ulrich trank einen weiteren Schluck. »Habt Ihr denn viel Gepäck?«
    »Draußen steht ein Karren. Darauf befindet sich unsere Habe.« Abraham fand es besser, seine Puppen unerwähnt zu lassen.
    »Einen Karren habt Ihr auch noch! Das ist schlecht.«
    »Warum?«
    Ulrich begann, sich eine neue Pfeife zu stopfen. Abraham und Alena sahen es mit Schrecken, mochten aber nichts dagegen sagen. Ulrich zündete den Knösel an, neues Qualmgewölk verbreitete sich. »Weil für Euch nur eine Wirtin in Frage kommt, die einen großen Hof hat oder eine Remise zur Verfügung stellen kann. Und davon gibt es nicht viele, jedenfalls nicht viele, die ihre Zimmer für einen Apfel und ein Ei vermieten.«
    Abraham dachte daran, dass er seine Lieblinge über Nacht ohnehin nicht auf dem Karren lassen würde, und sagte: »Warum kann ich den Wagen nicht am Straßenrand
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