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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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berühmten Apothekers und Schöpfers der nach ihm benannten
Rapp’schen Beruhigungstropfen,
sowie das Hauptwerk des Lorenz Heister. Es war in der ersten Auflage anno 1702 erschienen, danach mehrfach überarbeitet und erweitert worden und trug den ebenso langen wie altertümlichen Titel
Chirurgie, In welcher alles, Was zur Wund-Artzney gehöret, nach der neuesten und besten Art, gründlich abgehandelt, und in Acht und dreyßig Kupfer-Tafeln die neu-erfundene und dienlichste Instrumente, Nebst den bequemsten Handgriffen der Chirurgischen Operationen und Bandagen vorgestellet werden.
    So lang der Titel war, so ausführlich ging das Werk auf sämtliche Gebiete der Skalpellkünste ein, weshalb es zur Pflichtlektüre aller Medizinstudenten gehörte. Abraham hatte viel daraus gelernt, wusste aber auch, dass manches darin nicht mehr dem neuesten wissenschaftlichen Stand entsprach, da Heister bereits 1758 verstorben war.
    Er setzte sich an den Tisch und ließ die Hände über die Platte gleiten. Hier sollst du also deine Tage verbringen, sinnierte er, sofern die Patienten deiner Aufmerksamkeit nicht bedürfen. Bei dem Gedanken an die Patienten fiel ihm ein, dass er sie beim Rundgang nur kurz begrüßt, sich aber nicht weiter mit ihnen beschäftigt hatte. Ein Versäumnis, das es umgehend nachzuholen galt.
    Er sprang auf und lief zur Treppe, denn die Kranken, insgesamt fünf Männer und eine Frau, waren alle im Erdgeschoss einquartiert. In der Kammer neben der Eingangstür lag ein ehemaliger Dachdeckermeister namens Cloose, der in die Hände eines Kurpfuschers geraten war. Dieser hatte ihm den Star so ungeschickt operiert, dass eine gewaltige Entzündung, gepaart mit großen Schmerzen, die Folge gewesen war. Der Augapfel hatte sich bizarr vergrößert, war zu einem sogenannten Elefantenauge angewachsen und aus der Augenhöhle herausgeeitert. Professor Richter, so erzählte Cloose, war nichts anderes übriggeblieben, als ihn zu entfernen. Nun wartete er auf ein künstliches Auge.
    Abraham nahm den Verband behutsam ab und untersuchte die Stelle des Eingriffs. Das Gewebe um die Augenhöhle herum sah gut aus, die Entzündung war nahezu abgeklungen. Clooses Journal entnahm er, dass die Wunde mit einer Salbe aus Zinnkraut, Kamille und Leinsamen behandelt wurde. Alles schien so weit in Ordnung. Abraham erneuerte den Verband, und Cloose fragte: »Woraus wird das Kunst-Auge eigentlich gemacht, wenn’s genauso aussehen soll wie das andere?«
    »Hat Professor Richter Euch das nicht erklärt?«
    »Kann schon sein, aber der Professor hat immer wenig Zeit.«
    »Nun, es gibt Augen aus geschmolzenem Glas und solche aus Gold-, Silber- oder Kupferplättchen, die der Goldschmied formt. In beiden Fällen muss im Anschluss ein geschickter Maler die Farben des gesunden Auges genau kopieren, damit kein Unterschied mehr festzustellen ist. Das künstliche Auge darf nicht zu klein sein, damit es nicht herausfällt, und nicht zu groß, weil es sonst nicht unter die Lider geschoben werden kann. Es muss gepflegt und oft abgewischt werden, damit es seinen Glanz nicht verliert. Ich bin sicher, Cloose, dass Ihr in den nächsten Tagen ein wunderschönes Kunst-Auge bekommen werdet, doch zunächst wollen wir den Heilprozess der Wunde in Ruhe abwarten.«
    »Ist recht, Herr Doktor.«
    Der Mann in dem anderen Bett war jung, fast noch ein Knabe, dessen Unterschenkel gestreckt, geschient und eingebunden war.
    »Kannst du die Zehen bewegen, Johannes?«, fragte Abraham.
    »Etwas, Herr Doktor.« Der Junge demonstrierte es.
    Abraham schloss daraus, dass
tibia
und
fibula
nicht beide gebrochen waren. Er erinnerte sich, dass Schienbeine fest, aber nicht zu fest verbunden sein mussten, und drückte an einigen Stellen behutsam auf den Verband. »Tut das weh?«
    »Nein, Herr Doktor.«
    »Sehr schön. Hab Geduld, in der Jugend wächst alles noch gut wieder zusammen.« Er ging in die nächste Kammer, wo zwei ältere Männer lagen.
    Beide waren Bäckergesellen und hatten Fieberschübe sowie Ausschlag im Gesicht, was in ihren Journalen allerdings nicht näher erläutert worden war. Sie hießen Bornitz und Möller und lagen schon seit einer Woche im Hospital. Wo und bei wem sie sich angesteckt hatten, wussten sie nicht zu sagen, denn ihre Kollegen hatten das Fieber nicht. Ihre Behandlung bestand aus der Applikation eines
unguentums
von Kamille, wärmenden Tees, kräftigender Speise und Ruhe. Bornitz als der Blutreichere war zweimal zur Ader gelassen worden. Auch ihr

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