Das Lied der Luege
lassen und Ronalds Antrag annehmen würde, um ihre Zukunft zu sichern und vielleicht sogar wieder ein Kind zu haben – sie konnte ihn nicht heiraten, denn sie war immer noch verheiratet. Seitdem Paul und Jimmy vor Jahren spurlos verschwunden waren, hatte sie nichts mehr von ihnen gehört. Paul hatte damals zwar davon gesprochen, sich scheiden zu lassen, sich bei Susan jedoch nie wieder gemeldet. Ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, wäre ein Leichtes gewesen, denn schließlich standen ihr Name und die Termine ihrer Auftritte ständig in den Zeitungen, auch wenn sie inzwischen einen Künstlernamen trug. Auf Plakaten prangte ihre Fotografie, und wenn Paul sie ernsthaft hätte finden wollen, um die Scheidung einzuleiten, wäre das für ihn problemlos möglich gewesen.
»Ronald, ich mag dich wirklich sehr«, sagte Susan leise. »Für eine Ehe reichen meine Gefühle jedoch nicht, außerdem bin ich mit Leib und Seele Schauspielerin. Niemals werde ich die Bühne aufgeben. Solange es meine Gesundheit zulässt, werde ich spielen und auftreten. Ich denke nicht, dass deine Eltern über eine Schwiegertochter, die ständig auf Reisen ist, erfreut wären.«
»Wenn wir erst Kinder haben, dann würdest du die Schauspielerei nicht vermissen«, wandte Ronald ein. »Du bist nicht mehr die Jüngste. Wünschst du dir denn keine Kinder? Ich meine, alle Frauen wünschen sich doch ein Heim, Mann und Kinder.«
»Ich nicht.« Susans Blick verschloss sich. »Ich möchte niemals Kinder haben.«
Ronald runzelte die Stirn. »Aber …«
»Niemals!«, wiederholte Susan laut. Es war ihr inzwischen egal, was die Leute von ihr dachten. Sie wandte sich der Garderobe zu. »Holst du mir bitte meinen Mantel? Ich möchte jetzt gehen.«
»Aber meine Eltern … Was soll ich ihnen sagen?«
Susan sah Ronald fest in die Augen.
»Das ist deine Sache, Ronald. Du hast mich vor vollendete Tatsachen gestellt, und es tut mir leid, dass ich dich mit der Situation alleinlassen muss.« Sie merkte, wie verletzt er war, und fügte sanft hinzu: »Vergiss mich, Ronald, und such nach einer Frau, die einem Leben, wie du es ihr bieten kannst, würdig ist. Ich bin es nicht, und deine Eltern werden hocherfreut sein, wenn du ihnen sagst, dass aus einer Heirat nichts wird.«
Sichtlich betrübt griff er in seine Jackentasche und holte eine kleine Schachtel hervor.
»Ich habe dir einen Ring gekauft«, sagte er leise. »Ich hoffte, es würde dein Verlobungsring werden.«
Susan schüttelte den Kopf.
»Du bist ein lieber Kerl, Ronald, und ich möchte die Zeit mit dir nicht missen, aber ab heute trennen sich unsere Wege. Ich bin sicher, in ein paar Wochen lernst du eine nette, junge Frau kennen, der du diesen Ring an den Finger stecken kannst.«
Ronald McPhearson-Grant wusste, wann er verloren hatte. Er holte Susans Mantel von der Garderobe und begleitete sie nach draußen. Das schöne Wetter vom Vormittag hatte sich verzogen. Der Himmel war bewölkt, und in der einbrechenden Dämmerung fielen die ersten Schneeflocken. Ronald winkte nach einem Taxi. Als Susan im Wagen saß, beugte er sich zu ihr vor und küsste sie leicht auf die Stirn.
»Ich kann warten, Peggy. Fahr nach Frankreich und denk über meinen Antrag nach. Vielleicht überlegst du es dir noch mal anders.«
»Vielleicht«, antwortete Susan und wandte den Kopf ab. Sie wusste, sie hatte ihre Entscheidung getroffen, doch sie wollte Ronald nicht noch mehr verletzen. Dann nannte sie dem Fahrer die Adresse ihrer Wohnung und lehnte sich aufatmend in die Polster, als der Wagen anfuhr.
»Du hast
was?
« Doro schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als Susan ihr von Ronalds Antrag erzählte. »Du wärst eine Lady geworden. Eine richtige Lady mit Schloss und allem Drum und Dran!«
In den letzten Jahren waren Susan und Doro Freundinnen geworden. Doro arbeitete immer noch als Assistentin von Theodor Murphy, und seit Susan nicht mehr mit ihr zusammenlebte, besuchten sich die beiden Frauen regelmäßig. Doro war auch die Einzige, der sich Susan anvertraute, denn sie wusste, die Freundin würde die Sache nicht herumerzählen. Die Welt des Theaters war eine einzige Klatschbörse, in der sich Geschichten und Gerüchte in Windeseile verbreiteten. Ronald als abgewiesenen Liebhaber in ein schlechtes Licht zu rücken, das war jedoch nicht Susans Absicht. Das hatte er nicht verdient.
»Ich fand es unmöglich, dass er mich nicht vorher gefragt hat, ob ich ihn überhaupt heiraten will«, sagte Susan. »Wenn er das
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