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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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hatten, als für ihre Rechte einzustehen, wurden vonseiten der Polizei mit großer Brutalität behandelt.«
    »Nun, immerhin haben die Frauen zahlreiche Fensterscheiben im Unterhaus eingeschlagen und waren auch nach mehrmaliger Aufforderung durch das Wachpersonal nicht bereit, das Parlamentsgebäude zu verlassen.«
    Susan hatte von dem Vorfall in der Zeitung gelesen. Es war das erste Mal, dass ihr der Name Emmeline Pankhurst wieder begegnet war. Unwillkürlich erinnerte sie sich an die große, energische Frau, die ihr vor Jahren ihre Karte gegeben und sie zum Tee eingeladen hatte. Die Karte hatte Susan längst nicht mehr, und auch eine Mrs. Pankhurst würde ihr nicht helfen können, ihren Sohn zurückzubekommen. Mochten die Damen ihrer Organisation auch gegen alles Mögliche demonstrieren und dabei nicht gerade zimperlich vorgehen – niemals würde es ihnen gelingen, die geltenden, von Männern gemachten Gesetze zu ändern.
    »Ich finde, die Suffragetten haben recht, sich mit radikalen Maßnahmen Gehör zu verschaffen, da ihnen sonst niemand Aufmerksamkeit schenkt«, entgegnete Doro bestimmt.
    »Suffra … was?« Susan hörte das Wort zum ersten Mal. »Ich denke, die Organisation nennt sich irgendetwas mit Frauen sozialer Union oder so ähnlich.«
    Doro nickte. »Soziale und politische Frauenunion«, erklärte sie. »Da sich die Union jedoch für das Wahlrecht für Frauen einsetzt, hat sich in letzter Zeit im Volksmund die Bezeichnung Suffragetten gebildet – in Anlehnung an das Wort
suffrage
, das Wahlrecht bedeutet.«
    Susan zuckte desinteressiert mit den Schultern. »Nun, ich hoffe nur, du gehst nicht auch auf die Straße und wirfst mit Steinen um dich, liebe Doro. Ich möchte dich nur ungern im Gefängnis besuchen müssen, außerdem brauchen wir dich im Theater nötiger als auf der Straße.«
    Doro lachte und drückte Susans Arm.
    »Keine Sorge, ich bin nur auf Mrs. Pankhurst neugierig, ansonsten teile ich deine Meinung, dass die ganze Sache früher oder später wohl im Sande verlaufen wird.«
    Susan bereitete Tee zu, und die Freundinnen plauderten über dies und das. Eine Stunde später wurde es für Susan Zeit, ihre restlichen Sachen zu packen. Der Zug, der sie nach Dover zur Fähre bringen würde, ging am frühen Morgen, und Susan wollte für die lange Reise auf die Belle-Île an der französischen Atlantikküste ausgeruht sein.

12. Kapitel
    Sumerhays, Cornwall, Weihnachten 1910
    M it großen, glänzenden Augen blickte Anabell auf die Tanne, die im Salon vom Fußboden bis zur Stuckdecke reichte und mit glitzernden Kugeln, Strohsternen und, wie es dem Mädchen schien, Tausenden von brennenden Wachskerzen geschmückt war.
    »Schön!«, hauchte sie und griff nach der Hand ihrer Mutter. »War Santa Claus letzte Nacht hier und hat das gemacht?«
    Lavinia Callington schmunzelte, ging in die Hocke, damit sie auf Augenhöhe mit Anabell war, und nahm das Mädchen in ihre Arme.
    »Ja, mein Schatz, Santa Claus ist mit seinem Schlitten, der über und über mit Geschenken beladen ist und von einem Rentier gezogen wird, auf unserem Dach gelandet und ist dann durch den Kamin in das Zimmer gekommen. Möchtest du mal nachsehen, ob er vielleicht ein Geschenk für dich dagelassen hat?«
    Anabell nickte, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Sie steckte einen Daumen in den Mund, obwohl sie sich das Daumenlutschen schon seit einem Jahr abgewöhnt hatte, aber heute war für sie ein solch aufregender Tag, dass sie wieder in die alte Gewohnheit verfiel.
    »Wo ist das Geschenk?«, nuschelte das kleine Mädchen und sah sich im Salon um.
    »Sieh mal am Kamin nach.« Lavinia gab ihr einen liebevollen Klaps und schob sie zum Kamin, an dem ein großer, roter und prall gefüllter Strumpf hing.
    »Erzähl dem Kind doch nicht einen solchen Unsinn.« Edward Callington trat neben seine Frau und schüttelte missbilligend den Kopf. »Meine Eltern haben mir nie von Santa Claus vorgelogen, ich wusste bereits als kleiner Junge, dass die Dienstboten den Weihnachtsbaum aufstellen und meine Eltern die Geschenke kaufen.«
    Über Lavinias Gesicht fiel ein Schatten, sie antwortete jedoch leise und beherrscht: »Es ist das erste Weihnachten, an dem Anabell alles bewusst mitbekommt. Letztes Jahr war sie noch zu klein, aber jetzt wird sie bald vier Jahre alt. Kinder lieben Weihnachten und all die schönen Geschichten, lassen wir ihr doch die Freude.«
    Edward zuckte mit den Schultern.
    »Wie du meinst, aber ich möchte nicht, dass aus meiner

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