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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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sie diese aber nur verschmierte, darum gab sie es auf. Vielleicht würden die Flecken bei der Wäsche herausgehen.
    »Es tut mir so leid, Miss«, entschuldigte sich die junge Frau. »Die Kleine ist ein richtiger Wildfang, manchmal kaum zu bändigen. Ich hoffe, Ihr Kleid ist nicht ruiniert.«
    Susan schüttelte den Kopf. »Es ist nicht mein bestes.«
    Die junge Frau rang verzweifelt die Hände. »Es tut mir so leid«, wiederholte sie. »Ich habe dem Kind verboten, hier Ball zu spielen, aber sie konnte mal wieder nicht hören.«
    Erst jetzt bemerkte Susan das kleine Mädchen, das sich, halb hinter der Frau verborgen, ängstlich an deren Rock klammerte. Ihr stockte der Atem, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie hätte das Kind überall wiedererkannt. Susan bemühte sich um ein zwangloses Lächeln.
    »Wie gesagt, es ist nichts geschehen, die Flecken gehen sicher wieder heraus.«
    »Ist die Frau böse, Nanny?« Dem Mädchen standen Tränen in den Augen, und ihr kleiner Mund verzog sich weinerlich.
    »Und das zu Recht, Anabell. Mit dem Ball hast du ihre Teetasse umgestoßen und ihr Kleid beschmutzt.« Die junge Frau zog das Kind hinter ihrem Rücken vor. »Komm und entschuldige dich bei der Dame.«
    Zögernd kam Anabell näher, blieb mit gesenktem Kopf vor Susan stehen und streckte ihr die Hand entgegen.
    »Entschuldigung«, schluchzte sie, und Tränen strömten aus ihren Augen.
    Mit aller Macht widerstand Susan der Versuchung, das Kind in ihre Arme zu reißen, es an ihre Brust zu drücken und zu trösten. So ergriff sie nur die kleine, nicht ganz saubere Hand und sagte liebevoll: »Es ist schon gut. Du hast ja nur gespielt.«
    »Eigentlich ist sie sehr lieb, nur manchmal geht das Temperament mit ihr durch, und sie hört auf nichts, was man ihr befiehlt«, sagte die junge Frau, doch der Blick, mit dem sie das Mädchen ansah, sprach von großer Liebe zu dem Kind. »Darf ich Ihnen eine neue Tasse Tee bestellen?«
    »Nur, wenn Sie sich zu mir setzen und auch einen trinken.«
    Susan wusste, während sie die Worte sprach, dass sie einen Fehler machte, sie konnte jedoch nicht anders handeln. Die Bedienung eilte mit einem Lappen herbei, säuberte den Tisch und brachte gleich darauf zwei Tassen mit frischem Tee. Susan wandte sich an Anabell.
    »Möchtest du vielleicht ein Eis essen?«
    Die Tränen des Kindes versiegten. Unsicher sah sie von Susan zu ihrem Kindermädchen, das skeptisch die Stirn runzelte.
    »Ich weiß nicht, eigentlich sollte die Kleine für ihre Unachtsamkeit nicht auch noch belohnt werden.«
    »Ach was.« Susan winkte ab und bestellte eine Portion Vanilleeis. »Sie hat es ja nicht mit Absicht getan, sondern nur gespielt. Außerdem ist sie noch sehr jung, vier, fünf Jahre, schätze ich, oder?«
    »Anabell ist im Frühjahr vier Jahre alt geworden.« Plötzlich besann sich die junge Frau auf die Höflichkeit. »Ach, verzeihen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Nancy Lewarne.«
    »Sind Sie die Mutter der Kleinen?« Susan stellte bewusst diese Frage, deren Antwort sie kannte, aber sie wollte keinen Verdacht erregen.
    Miss Lewarne schüttelte den Kopf. »Ich bin das Kindermädchen von Anabell. Ich hoffe jedoch, eines Tages auch so ein entzückendes Kind zu haben, auch wenn Anabell mich mit ihrer Wildheit manchmal zur Weißglut bringt. Trotz allem liebe ich sie sehr und verzeihe ihr schlussendlich alles.«
    »Leben Sie hier in der Nähe?«
    »Ja, eine knappe halbe Stunde Fußweg entfernt. Bei diesem schönen Wetter wollte Anabell ans Meer, denn sie liebt das Wasser sehr. Vorhin hat sie ganz brav mit ihrem Ball gespielt, warum sie diesen plötzlich auf Sie geworfen hat, weiß ich nicht. Manchmal tut sie solche verrückten Sachen.«
    Susan nickte und lächelte verständnisvoll. Alles in ihr war in Aufruhr, sie konnte kaum verhindern, dass ihre Hände zitterten, es gelang ihr jedoch, mit ruhiger Stimme zu sagen: »Kindern muss man vieles nachsehen, Miss Lewarne. Sie werden so schnell erwachsen, dass man sich dann nach der Zeit der Unbeschwertheit zurücksehnt.«
    »Haben Sie Kinder?«, fragte Nancy Lewarne direkt.
    »Nein, leider nicht.« Susans Stimme zitterte nur leicht, als die Lüge über ihre Lippen kam. Ihr Blick glitt zu Anabell, deren Tränen nun versiegt waren und die genüsslich ihr Eis löffelte. Unter ihrem Strohhut fiel das Haar offen und glänzend auf ihre Schultern, ihre Pausbacken waren gerötet, und das rosa Kleidchen war von zahlreichen Spitzen und Borten verziert.
    Mein

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