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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Nach ein paar Schritten hatte der Herr sie jedoch eingeholt.
    »Ich möchte mich für das aufdringliche Verhalten meiner Frau entschuldigen, Mrs. Landsbury«, sagte er zerknirscht. »Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie nur schwer davon abzubringen. Bitte, seien Sie ihr nicht böse.«
    Susan bemühte sich um ein verständnisvolles Lächeln.
    »Ich muss jetzt aber wirklich gehen …«
    Der Mann zog seinen Hut und verbeugte sich vor Susan.
    »Zudem waren wir so unfreundlich, uns nicht vorzustellen. Wir sind Lord und Lady Polkinghorn, und wir leben hier in der Nähe. Vielleicht möchten Sie uns mal zum Tee besuchen? Unser Sohn Stephen und seine Frau halten sich nämlich die meiste Zeit in London auf, und manchmal ist es ganz schön einsam auf Polkinghorn Hall …«
     
    Zurück in ihrem Cottage, zog Susan ihren Koffer unter dem Bett hervor, öffnete die Schranktüren und warf ihre Kleidung unordentlich in den Koffer. Dann jedoch hielt sie inne, sank auf das Bett und schlug die Hände vors Gesicht. Sie wusste, es wäre das Beste, Cornwall noch heute zu verlassen und niemals zurückzukehren. Damals hatte sie Stephens Eltern nie kennengelernt. Welch ein seltsamer Zufall, diesen ausgerechnet in der Talland Bay zu begegnen. Ein ebensolcher Zufall wie die Begegnung mit Anabell. In den letzten zwei Sommern hatte sie sich immer für einige Zeit in dieser Gegend aufgehalten, Anabell lediglich nur ein Mal aus der Ferne gesehen.
    »Bist du morgen wieder hier?« Anabells Frage klang in ihren Ohren, und sie begann, ihre Sachen wieder auszupacken. Sie würde nicht erneut davonlaufen, sie würde nicht fliehen, nur weil Stephens Mutter meinte, in ihr die Schauspielerin Peggy Sue erkannt zu haben. Deren Mann glaubte ihr ohnehin kein Wort, und Stephen war in London. Sollte die Frau doch denken, was sie wollte, sie, Susan, würde Anabell zuliebe bleiben. Es gab so vieles, was sie wissen wollte und von dem Kindermädchen erfahren könnte. Wie war Anabell als Säugling gewesen? Hatte sie viel geschrien, oder war sie ein ruhiges Baby gewesen? Anabell liebte ihre Mutter offenbar sehr, während sie vor ihrem Vater beinahe Angst zu haben schien. Es hatte Susan geschmerzt, als Anabell von ihrem Vater sprach. Sie war noch keine fünf Jahre alt und spürte dennoch, dass der Vater sie nicht so liebte, wie die Mutter es tat. Susan wunderte das nicht. Lord Callington hatte sich einen Sohn gewünscht und sich wahrscheinlich nur schwer mit einer Tochter abgefunden. Susan wusste, welch gefährliches Spiel sie trieb, es war ihr jedoch unmöglich, auf eine weitere Begegnung mit Anabell zu verzichten.
     
    Am folgenden Nachmittag ging sie wieder zur Talland Bay, obwohl der Sommer einen Tag Pause einlegte und grauer Nieselregen die Landschaft verdunkelte. Die Teestube war geschlossen, und Susan traf auf keine anderen Spaziergänger. Sie wartete über eine Stunde, dann sagte sie sich, dass Anabell und Nancy Lewarne heute nicht kommen würden. Lady Lavinia würde es nicht zulassen, dass Anabell bei diesem Wetter nach draußen ging.
    Susan musste vier Tage warten, bis sie Anabell wiedersah. Täglich war sie trotz des anhaltenden Regens zur Talland Bay gegangen, hatte sich einmal mit einem älteren Herrn, der seinen Hund ausführte, ein paar Minuten unterhalten, um dann unverrichteter Dinge wieder in ihr Cottage zurückzukehren. Dann änderte sich endlich das Wetter, und ein strahlend schöner Sommertag lockte die Menschen ins Freie, auch die Teestube stellte ihre Tische und Stühle wieder in den Garten. Susan hatte zwar die Befürchtung, erneut auf die Polkinghorns zu treffen, dies blieb ihr jedoch erspart. Stattdessen wartete Anabell mit ihrem Kindermädchen Nancy bereits am Strand, als Susan die steilen Klippen hinabstieg.
    »Tante, willst du meine Puppe sehen?«
    Stolz reichte Anabell Susan eine große Puppe, und Susan erkannte an dem kunstfertig gearbeiteten und handbemalten Porzellangesicht und der aufwendig, ebenfalls in Handarbeit gearbeiteten Kleidung, dass die Puppe sehr teuer gewesen sein musste.
    »Wie heißt sie denn?«, fragte Susan und ging vor Anabell in die Hocke, um dem Kind in die Augen sehen zu können.
    »Clara«, kam prompt die Antwort.
    »Clara ist der Name eines der Pächterkinder«, bemerkte Nancy Lewarne mit einem Lachen. »Eine gewisse Ähnlichkeit ist jedoch unbestreitbar.«
    Susan stimmte in ihr Lachen ein. Die nächste Stunde war sie damit beschäftigt, sich von Anabell erklären zu lassen, was Clara alles

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