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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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sonnt.«
    »Wie kannst du nur so etwas sagen?«, fuhr Susan die Kollegin an. »Madame Sarah war und ist die beste Schauspielerin, die diese Erde jemals gesehen hat, auch heute noch. Wenn sie auf der Bühne steht, vergisst man ihr Alter, denn keine andere Frau hat jemals so gespielt wie sie und wird es jemals tun.«
    Esperanza sah Susan spöttisch an und schüttelte den Kopf.
    »Meine liebe Peggy, wenn man dein Talent mit dem Sarahs vergleicht, mag es wohl sein, dass du ihr nicht das Wasser reichen kannst. Ich hingegen …« Sie sah beifallheischend in die Runde. »Nun, heute Abend wird die göttliche Sarah mal sehen, wie man heutzutage das Publikum begeistert und mitreißt. Das antiquierte Spiel des letzten Jahrhunderts ist passé, heute gehört mehr dazu, als nur seine Texte einigermaßen passabel rezitieren zu können.«
    Allen war klar, dass Esperanza damit einzig und allein ihre eigene Leistung meinte, und nicht nur Susan wandte sich verärgert ab. Sie hatte sich damit abgefunden, dass Esperanza der Star ihrer Truppe war, würde es jedoch nicht zulassen, dass sie den Namen Sarah Bernhardts in den Schmutz zog. Unfreundlich sagte sie: »Es wundert mich immer wieder, warum du dein übergroßes
Talent
in einer so provinziellen Truppe wie der unseren verschwendest, Esperanza. Nun, vielleicht wirst du hier in Paris ja entdeckt, und die Comédie Française bittet dich händeringend, zu ihnen zu stoßen. Ich bin sicher, die haben seit Jahren auf dich gewartet.«
    »Was dir gerade recht wäre, nicht wahr?«, gab Esperanza giftig zurück. »Wenn Sarah Bernhardt wirklich eine Freundin von dir ist, dann kannst du sie ja bitten, bei den einflussreichen Männern, die Sarah sicherlich kennt, ein gutes Wort für mich einzulegen. Allerdings – ist sie nicht kürzlich mit einem Theater pleitegegangen, weil niemand mehr sie auf der Bühne sehen wollte? Hast du vergessen, was die Londoner Presse im letzten Jahr über Sarahs Gastspiel in London schrieb? Es war wenig schmeichelhaft.«
    Susan hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht, denn es stimmte, was Esperanza sagte. Nach diversen, wenig glücklichen Auftritten von Sarah Bernhardt im Jahr 1910 ging die Presse nicht mehr so wohlwollend mit ihr um.
    Ihr Schauspiel lässt zu wünschen übrig, Sarah Bernhardt ist jedoch eine Institution, und sie wird auf der Bühne stehen, bis sie stirbt. Dabei wäre es für alle, ganz besonders für das Publikum, besser, sie würde sich der Blumenzucht auf ihrer französischen Insel widmen …
    Susan hatte damals den Kommentar mit Entrüstung gelesen und sich gefragt, wie man derart respektlos mit einer Dame, die seit Jahrzehnten das Theater beherrschte und nachhaltig geprägt hatte, umgehen konnte. Immer mehr Stimmen regten sich, dass die Italienerin Eleonora Duse längst aus dem Schatten der Bernhardt herausgetreten war. Deren Spiel wäre von einer ergreifenden Schlichtheit und damit etwas erfrischend Neues, was das Theater dringend brauchte. Ob diese Kritiken Sarah Bernhardt verletzten, wusste Susan nicht zu sagen, denn die Diva schien auch im Privatleben eine Rolle zu spielen und ließ niemanden hinter ihre Maske schauen.
    Susan wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Esperanza zu, die ihr dichtes Haar bürstete.
    »Ich glaube kaum, dass sich Sarah bereit erklärt, sich für dich zu verwenden, wenn sie erfährt, wie du über sie denkst.«
    »Ich weiß, die meisten Menschen können die Wahrheit nicht vertragen, Schauspielerinnen im Besonderen nicht.« Esperanza zuckte mit den Schultern. »Kannst es ja trotzdem versuchen, wer weiß, vielleicht kehre ich gar nicht mehr mit euch nach England zurück. In Paris gibt es so viele Möglichkeiten.«
    »Das können wir nur alle hoffen.« Doro, die das Streitgespräch bisher ruhig verfolgt hatte, konnte nicht länger schweigen. »Du benimmst dich unmöglich, Esperanza Montoya. Du magst zwar eine gute Schauspielerin und ganz passable Sängerin sein, deine Manieren lassen jedoch zu wünschen übrig.
Du
bist noch lange keine Diva wie Sarah Bernhardt, die meint, sich alles erlauben zu können.«
    Wie eine Furie ging Esperanza auf Doro los und riss sie an den Haaren.
    »Und du bist nichts weiter als eine ältliche Jungfer, nicht hübsch genug, um auf der Bühne zu stehen, ja nicht einmal ansehnlich genug, um überhaupt einen Mann abzubekommen, und darum …«
    »Schluss jetzt, sonst sage ich die Vorstellung ab!« Donnernd unterbrach Theodor Murphy den Streit, der unbemerkt eine Weile in der Tür gestanden und

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