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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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bin froh, wieder hier zu sein.«
     
    In das laufende Programm konnte Susan nur noch in einer kleinen Nebenrolle integriert werden, Theo versprach ihr jedoch eine größere Rolle in dem Stück
You never can tell
des irischen Dramatikers George Bernard Shaw, das er ab Januar auf die Bühne bringen wollte. Susan sollte darin die Dolly, die Schwester der Gloria, spielen, die Hauptrolle bekam Esperanza, die den entsprechenden Vertrag bereits unterschrieben hatte.
    »Wenn du willst, kannst du auch die Gloria einstudieren«, sagte Theo mit einem Augenzwinkern. »Es ist immer gut, wenn man eine talentierte Zweitbesetzung in petto hat.«
    Susan verbarg nicht ihre Freude. Noch am selben Tag setzte Doro, die über Susans Rückkehr völlig aus dem Häuschen war, den Vertrag auf, und Susan gehörte wieder zum
Blue Horizon.
Als sie spät in der Nacht in ihrer Wohnung im Bett lag und von draußen die nie versiegenden Geräusche einer geschäftigen Stadt an ihr Ohr drangen, wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Die Zeit der zügellosen Partys war vorbei, ab sofort wollte sie sich nur noch auf ihr Spiel konzentrieren. Vielleicht würde sie nie eine solche Brillanz wie Esperanza Montoya erreichen und ewig nur die Zweitbesetzung bleiben, doch sie würde ihr Auskommen haben und einen Platz, an dem sie glücklich war. Als das kleine, rosige Gesicht Anabells und ihre Freude, als sie gemeinsam Ball spielten, sich in ihre Erinnerung bohrten, versuchte Susan, dieses Erlebnis schnell zur Seite zu schieben. Nie wieder würde sie nach Cornwall fahren. Jede Begegnung mit Anabell schmerzte sie viel zu sehr. London war groß und die Wahrscheinlichkeit, hier erneut auf Lavinia und Anabell zu treffen, gering. Sollte es dennoch geschehen, würde sie einfach die Straßenseite wechseln.
     
    Es war Theodor Murphys Strategie und seine Geschäftspolitik, die Art der Stücke in jeder Saison zu wechseln und neben neuen, von Marcus Jackmann geschriebenen Dramen auch die Klassiker im Programm zu haben. Mit einer Komödie von Shakespeare würde er ein anderes Publikum ansprechen als mit
Laura’s Dream
oder mit
Irrungen am Covent Garden
, das noch bis Weihnachten gespielt wurde. Als Susan am nächsten Tag bei den Proben zusah, bemerkte sie, dass nun auch vermehrt Tanzszenen vorkamen, die Esperanza zugegebenermaßen mit Bravour meisterte. Die Kollegen und Kolleginnen hatten Susan allesamt freudig zurück in ihrer Mitte begrüßt, selbst Esperanza umarmte sie und küsste sie auf die Wange.
    »Nun brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen, einmal krank zu werden, denn wir haben wieder eine hervorragende Zweitbesetzung«, scherzte sie. Bei ihren Worten zog jedoch ein Schatten über Hettys Gesicht. Erneut wurde sie wieder weiter nach hinten gedrängt, aber so war das Geschäft eben. Susan war froh, dass Hetty keinen Neid kannte und ihr das neue Engagement von Herzen gönnte. Susan beherrschte die kleine Rolle als Dienstmädchen in dem laufenden Stück schnell, und als sie zum ersten Mal wieder vor Publikum auf der Bühne stand, war es, als hätte sie nicht Monate pausiert.
     
    Wie in jedem Jahr gingen sie im November auf Tournee. Sie fuhren wieder nach Belgien und in die Niederlande, und zum Abschluss standen vier Aufführungen in Paris auf dem Programm. Noch von England aus hatte Susan an Sarah Bernhardt geschrieben und ihr die Daten, an denen sie in Paris gastierten, mitgeteilt. Susan hatte sich keine Antwort erhofft – da sie ja nicht wusste, ob Sarah überhaupt in Frankreich weilte –, umso erstaunter war sie, am Abend ihrer ersten Aufführung in dem kleinen Pariser Theater Sarah Bernhardt im Publikum zu sehen. Die Anwesenheit der großen Diva erregte natürlich die Aufmerksamkeit aller Zuschauer, obwohl Sarah, in einen für sie eher unüblichen dunklen Mantel gehüllt, still im Parkett saß. Auch durch das Ensemble ging eine nervöse Unruhe.
    »Ich werde keinen Ton herausbekommen«, jammerte Joan und rang die Hände.
    »Mir zittern jetzt schon die Knie, wenn ich daran denke, vor Madame Sarah aufzutreten.« Hetty schüttelte sich. »Du meine Güte, hoffentlich machen wir alles richtig.«
    Esperanza, die ihr langes, schwarzes Haar offen trug, warf dieses mit einer selbstsicheren Bewegung zurück.
    »Pah, warum macht ihr euch verrückt? Die großen Tage einer Sarah Bernhardt sind schon lange vorbei, jetzt ist sie nur noch eine alte Frau mit faltigem Gesicht, die sich in den letzten Strahlen ihres untergehenden Ruhmes

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