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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Hafenmeisterei mit der Abfertigung mehrere Tage im Rückstand lag.
    »Hauptsache, unser Schiff legt pünktlich ab«, knurrte Kingsley. »Wir dürfen auf keinen Fall zu spät in New York ankommen, denn sonst wird die Rolle mit einer anderen Schauspielerin besetzt. Ich hoffe, der Kapitän lässt die Kessel mächtig heizen, damit es eine schnelle Überfahrt wird.«
    Gespannte Erregung befiel Susan, als das Schiff, das sie nach Amerika bringen sollte, in Sicht kam. Sie hatte bereits einige Schiffe gesehen, hatte auf großen und auch komfortablen Fähren den Kanal nach Frankreich überquert, was sich jedoch hier ihren Augen darbot, ließ ihr den Atem stocken. Das war kein Schiff, sondern eine ganze Stadt! Wie ein Hochhaus, höher als jedes Wohnhaus in London, erhob sich der schwarze Rumpf vor ihren Augen, und die Personen, die bereits an der Reling standen und herunterwinkten, wirkten nicht größer als Stubenfliegen.
    »Du meine Güte, was ist denn das?« Fassungslos starrte Susan auf das Schiff.
    Kingsley lachte so dicht an ihrem Ohr, dass sie seinen Atem im Gesicht spürte.
    »Es handelt sich um ein Wunderwerk der Technik, wie die Menschheit es nie zuvor gesehen hat. Sie können der Gesellschaft des Pigeon-Theatre dankbar sein, dass sie uns das Privileg gestatten, die Überfahrt ausgerechnet auf diesem Schiff zu machen, denn die Passagen waren heißbegehrt und die guten Kabinen binnen kurzer Zeit ausverkauft. Es handelt sich nämlich um die Jungfernfahrt dieses beeindruckenden Schiffes, das an Größe und Luxuriösität mit keinem anderen auf der Welt zu vergleichen ist. Man nennt das Schiff auch die
Königin der Meere

    Susan war voller gespannter Erwartung, das Schiff von innen zu sehen und zu erkunden. Dafür würde sie Tage brauchen, wahrscheinlich würde sie sich andauernd verlaufen, und so würde die Überfahrt rasend schnell vergehen. Susan war so aufgeregt, dass es ihr nicht auffiel, dass Kingsley ihren Arm immer noch umklammert hielt, obwohl sich das Gedränge auflöste, als sie zur Gangway schritten, über die die Passagiere das Innere dieses schwimmenden Riesen betraten. Kingsley nahm die Passagierscheine aus seiner Tasche, als ein Steward sie um ihre Papiere bat. Während der Mann die Fahrkarten überprüfte und ihnen die Schlüssel für die Kabinen aushändigte, betrachtete Susan die dunkelblaue Uniform mit den goldenen Knöpfen, die dem jungen Mann hervorragend stand, und las auf seiner Mütze zum ersten Mal den Namen der Reederei, die dieses beeindruckende Schiff gebaut hatte. Kingsley und sie hatten nie über den Namen des Schiffes gesprochen – warum auch? In den letzten Tagen hatten sie andere Dinge zu besprechen und zu regeln gehabt. Susan las auf der Mütze die mit goldenem Garn eingestickten Buchstaben: WHITE STAR LINE .
    Nachdem sie das Innere des Schiffes betreten hatte, stach Susan sofort ein bekannter Geruch in die Nase. Es roch nach frischer Farbe und Holz, beinahe so wie im Theater, wenn neue Kulissen gebaut wurden. Die Eingangshalle war der eines Theaters nicht unähnlich, wenngleich hier alles erheblich größer und luxuriöser war. Um sie herum drängten sich gutgekleidete Frauen, Männer und Kinder, und zahlreiche Stewards standen bereit, um die Passagiere zu ihren Kabinen zu geleiten. Kingsley zeigte erneut die Fahrkarten vor, und ein Steward bat sie, ihm auf das B-Deck zu ihren Kabinen zu folgen. Während Susan dem Mann folgte, flüsterte sie Kingsley zu: »Wie ist eigentlich der Name dieses Schiffes?«
    »Es wurde auf den Namen Titanic getauft.« Kingsley sah sie stolz an. »Einen besseren Namen hätte die Reederei für diesen Giganten der Meere nicht auswählen können, nicht wahr, Miss Peggy? Ich bin sicher, die Jungfernfahrt dieses Schiffes wird in die Geschichte eingehen.«

19. Kapitel
    O bwohl Susan sich bemühte, ebenso gelassen wie die anderen Passagiere, die offenbar an größten Luxus gewöhnt waren, aufzutreten und sich nicht anmerken zu lassen, wie beeindruckt sie von der
Titanic
war, verschlug es ihr die Sprache, als sie durch das Schiff ging. Der Steward öffnete die Tür zu ihrer Kabine – B 62 auf dem B-Deck –, und als sie eintrat, zog sie vor Überraschung hörbar die Luft ein. Die Kabine bestand aus zwei Räumen: einem großen Wohnzimmer mit grün-gelb gemusterter Seidentapete und polierten Mahagonimöbeln und einem etwas kleineren Schlafzimmer, das von einem Himmelbett mit grünen Vorhängen beherrscht wurde. Hier waren die Wände bis zur Hälfte mit Holz

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