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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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die Matratze erreicht hat.«
    Er kam näher und legte seine Hand auf ihren Unterarm.
    »Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen, Miss Peggy. Die Titanic ist das sicherste Schiff, das jemals gebaut wurde. Sie ist unsinkbar und wird uns sicher über den Ozean bringen.«
    Susan lächelte etwas gezwungen und sagte: »Ich würde dieses Wunderwerk gerne erkunden, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Er nickte, reichte Susan seinen Arm, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zusammen mit Leonard Kingsley auf Entdeckungstour zu begeben.
    Als sie auf dem Oberdeck angekommen waren und Susan sich die anderen Passagiere betrachtete, war sie froh, Kingsleys Ratschlag, ihre besten und elegantesten Kleider einzupacken, gefolgt zu sein. Diese konnten sich mit den Roben und den Hüten der Damen, die auf dem Deck promenierten, zwar nicht messen, dennoch musste sie sich nicht vor den eleganten Damen verstecken. Der Gedanke, sie könnte Lavinia Callington begegnen, kam ihr plötzlich in den Sinn. Sie hätte in diese Gesellschaft gepasst, denn hier waren genau die Menschen versammelt, für die Lavinia die Lüge mit dem Kind aufgebaut hatte. Am Arm von Leonard Kingsley grüßte sie nach links und nach rechts, wurde zurückgegrüßt, wechselte ein paar Worte über das Wetter und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dieses würde während der Überfahrt ruhig und trocken bleiben. Als genau um zwölf Uhr mittags die Leinen gelöst und das Schiff aus dem Hafenbecken geschleppt wurde, stand Susan ebenso wie hundert andere Passagiere an der Reling. Die Menschen auf dem Kai sahen aus wie Ameisen, die meisten winkten und riefen den Reisenden etwas zu, was hier oben jedoch nicht verstanden werden konnte. Plötzlich liefen alle zum Bug. Kingsley zog Susan mit sich, so sah sie, wie sich die Titanic auf der Höhe des Dampfers
New York
befand, der an der Seite der
Oceanic
im Hafenbecken lag. Auf der Kaiseite der
New York
flogen plötzlich dicke Taue schlangenförmig durch die Luft, direkt in die Menschenmenge am Kai, die erschrocken zurückwich. Offenbar wurde niemand getroffen, doch dann, wie von unsichtbarer Hand gezogen, bewegte sich die
New York
auf den Bug der
Titanic
zu. Eine Kollision schien unausweichlich. Auf der
New York
wurden Befehle gerufen, die Seeleute liefen hektisch durcheinander und warfen Fender über die Seite, um einen möglichen Zusammenstoß zu dämpfen. Der Schlepper, der kurz zuvor vom Bug der
Titanic
losgemacht worden war, fuhr zur Kaiseite der
New York
, machte dort fest und versuchte mit aller zur Verfügung stehenden Kraft seiner Maschinen, das Schiff zurückzuziehen. Zuerst sah es nicht so aus, als hätten seine Bemühungen Erfolg, und nicht nur Susan befürchtete eine Kollision der beiden Hecks. Unwillkürlich klammerte sie sich fester an Kingsleys Arm, der sofort seine Hand auf die ihre legte.
    »Nun haben Sie doch Angst, Miss Peggy. Wie gut, dass ich bei Ihnen bin, nicht wahr?«
    Susan verzichtete auf eine Antwort und starrte auf das Geschehen im Hafenbecken. Die
Titanic
wurde plötzlich langsamer, der Sog, der die beiden Schiffe zueinandergetrieben hatte, ließ nach, und das Heck der
New York
glitt nur einige Meter an dem der
Titanic
entlang. Die Gefahr für ihr eigenes Schiff war gebannt, dieser Zwischenfall hatte jedoch gezeigt, wie schwer ein so großes Schiff zu manövrieren war. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit wäre bei einer Kollision zwar niemand zu Schaden gekommen, die
Titanic
jedoch so beschädigt worden, dass sich ihre Abfahrt um mehrere Tage verzögert hätte.
    »Ich glaube, jetzt brauchen wir einen Drink«, sagte Kingsley. »Das Mittagessen wird gleich serviert. Bitte, begleiten Sie mich zu Tisch.«
    Beim Essen drehte sich das Gespräch natürlich um den Zwischenfall beim Auslaufen. Außer den Passagieren, die sich zu dem Zeitpunkt auf dem Oberdeck befunden hatten, hatte niemand etwas von dem Zwischenfall bemerkt. Eine Dame am Nebentisch warf, nachdem ihr ein Herr davon berichtet hatte, theatralisch die Hände hoch und stöhnte: »Das ist ein böses Omen! Ein sehr böses Omen, es wird noch etwas viel Schrecklicheres geschehen.«
    Kingsley warf Susan einen amüsierten Blick zu, und ein Herr, der mit ihnen am Tisch saß und sich ebenfalls auf dem Oberdeck befunden und sich als Mr. James Holt vorgestellt hatte, bemerkte: »Es war eindeutig der Fehler der
New York
. Auf dem Meer werden wir mehr oder weniger allein sein, da droht uns ganz bestimmt keine Kollision mit einem anderen Schiff. Selbst

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