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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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getäfelt, darüber setzte sich das Muster der Tapete des Wohnzimmers fort. Neben elektrischem Licht gab es sogar ein kleines Bad mit einer Badewanne und fließendem Wasser.
    »Haben Sie noch Wünsche, Mylady?« Der Steward verbeugte sich und sah Susan erwartungsvoll an.
    Susan konnte nur stumm den Kopf schütteln. Auf einer Anrichte, über der in einem goldenen Rahmen ein großer Spiegel befestigt war, stand ein Korb mit frischem Obst, daneben eine Flasche Champagner und zwei Gläser.
    »Sind Sie sicher, dass das hier meine Kabine ist?« Susan wartete mit der Frage, bis der Steward sich zurückgezogen hatte.
    Leonard Kingsley lächelte wohlgefällig.
    »Nathan Schneyder scheut keine Mühen und Kosten, um seinen Mitarbeitern und Schauspielern so viele Annehmlichkeiten wie möglich zu bieten. Er war der Meinung, wenn wir schon mit der RMS Titanic reisen, dann sollten wir das auch in der ersten Klasse tun.«
    »Die Überfahrt war jedoch nicht für mich, sondern für Esperanza Montoya geplant«, gab Susan zu bedenken. »Was wird Mr. Schneyder sagen, wenn Sie nun anstatt mit dem erwarteten Star mit mir ankommen? Wird er nicht furchtbar wütend werden und einen Teil der Reisekosten zurückverlangen?«
    »Zerbrechen Sie sich darüber nicht Ihren hübschen Kopf, Miss Peggy.« Er sah sie wohlwollend an. »Nathan Schneyder ist ein großzügiger Mensch mit einem beträchtlichen Vermögen. Wir sollten die Überfahrt und die Annehmlichkeiten, die uns die Titanic bietet, genießen. Wobei, Miss Peggy, wir nicht vergessen dürfen, dass wir auch ein wenig an Ihrem Auftreten arbeiten müssen.«
    Bereits in den Tagen zuvor hatte Kingsley mit Susan besprochen, sie während der Überfahrt nach New York mit den in Amerika herrschenden Sitten und Gebräuchen bekannt zu machen. Sie würde dort mit Damen und Herren der ersten Gesellschaftsschicht zusammentreffen. Auch wenn diese Leute nicht von Adel waren, unterschieden sich Lebensart und Standesdünkel kaum von denen in England. In Amerika jedoch galt der Schauspielerberuf, auch bei Frauen, als angesehen, solange man nicht in einer schlechten Tingeltangel-Show auftrat. Ein Engagement am Broadway in New York war wie eine Eintrittskarte zu den ersten Familien der Stadt und zu allen Festen und Veranstaltungen der guten Gesellschaft. Susan wusste, die Fahrt auf diesem Schiff und der Umgang mit den anderen Passagieren der ersten Klasse würde ihre erste Bewährungsprobe sein. Sie war dankbar für die Gesangsstunden, in denen nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihr Benehmen geschult worden war.
    »Hier ist übrigens meine Kabine.« Kingsley riss sie aus ihren Gedanken. Er öffnete in Susans Wohnzimmer eine Verbindungstür, die sie zuvor nicht bemerkt hatte. »Wenn Sie also in der Nacht plötzlich Angst bekommen, brauchen Sie nur zu klopfen.«
    Den letzten Satz hatte er zwar mit einem Lächeln und betont beiläufig gesagt, der Ausdruck in seinen Augen jedoch missfiel Susan und berührte sie unangenehm. Sie erinnerte sich, wie Kingsley bei ihren Vorbesprechungen immer so nahe neben ihr gesessen hatte, dass sich ihre Körper manchmal berührten, und wie er am Kai ihren Arm länger als nötig festgehalten hatte. Mit einem raschen Blick auf die Verbindungstür vergewisserte sie sich, dass in deren Schloss ein Schlüssel steckte, was sie zumindest beruhigte. Vielleicht entsprach Kingsleys Verhalten der Art und Weise, die Amerikaner an den Tag legen, und Susan fehlte nur die Erfahrung mit Menschen aus diesem Land. Vielleicht versuchte er aber auch, mit ihr zu flirten. Susan war zwar einem Flirt grundsätzlich nicht abgeneigt, Leonard Kingsley war ihr jedoch … Ja, was war er? Unsympathisch war nicht das richtige Wort, zudem hatte sie dem Mann sehr viel zu verdanken. Ohne Kingsley würde sie sich jetzt nicht auf dem Weg nach Amerika befinden und einem Engagement an der berühmtesten Theatermeile der Welt entgegensehen. Auch nicht die Tatsache, dass Kingsley mindestens doppelt so alt wie sie war, ließ Susan einen Schritt zurückweichen. Er war einfach nicht ihr Typ, und sie hoffte, sein Verhalten bedeutete keinen Annäherungsversuch. Sollte dies der Fall sein, würde sich Susan seinen Avancen zu erwehren wissen. Darum ging sie auf seine Bemerkung nur mit der Andeutung eines Lächelns ein.
    »Ich bin kein ängstlicher Mensch, Mr. Kingsley«, sagte sie leichthin. »In der Nacht schlafe ich wie ein Murmeltier. Ich glaube, selbst wenn das Schiff untergeht, würde ich es erst bemerken, wenn das Wasser

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