Das Lied der Luege
und einem freundlichen Gesichtsausdruck.
»Mister Benjamin Guggenheim«, flüsterte Kingsley Susan ins Ohr. »Einer der reichsten Männer in den Vereinigten Staaten. Sehen Sie die junge dunkelhaarige Frau hinter ihm? Das ist seine französische Geliebte, die vom Alter her seine Tochter sein könnte. Dabei ist Guggenheim seit vielen Jahren verheiratet.«
Susan interessierte solcher Klatsch nicht. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf die soeben eintretende Margaret Brown, die mit ihrem perlenbestickten Abendkleid, einer rosafarbenen Federboa um die Schultern und einem ausladenden Hut mit Straußenfeder auf dem Kopf sofort alle Blicke auf sich zog, was wohl auch an ihrer männlichen Begleitung lag, wie Kingsley Susan sofort aufklärte.
»Mister John Jacob Astor der Vierte ist beinahe so vermögend wie Guggenheim. Mit diesem hat Astor gemein, dass auch er junge Frauen bevorzugt, allerdings hält er sich diese nicht als Geliebte, sondern er heiratet sie. Es war selbst für amerikanische Verhältnisse ein Skandal, als sich Astor von seiner Frau scheiden ließ und nur wenig später eine erst Achtzehnjährige heiratete. Ach, das ist sie ja – Mistress Madeleine Astor, die junge Frau in dem grünen Kleid. Man munkelt, sie sei schwanger.«
Susan murmelte ein höfliches »Wie interessant« und widmete sich dem Karamellpudding, der als Nachspeise gereicht wurde, dennoch schweifte ihr Blick immer wieder zu Margaret Brown hinüber. Die Dame war schon im fortgeschrittenen Alter, hatte aber ein so freundliches Gesicht, dass Susan hoffte, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Kingsley hatte ihr noch verraten, dass Mrs. Brown auch gerne
Molly Brown
genannt wurde, was aufgrund ihrer korpulenten Figur nicht verwunderlich war.
Kingsley bemerkte ihr Desinteresse. Für einen Moment legte er seine Hand auf Susans und sagte eindringlich: »Miss Peggy, Sie
müssen
über solche Personen informiert sein. Männer wie Guggenheim und Astor sind sehr wichtig, und ich hoffe, auf dieser Reise mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ihr Wohlwollen kann den Theatern am Broadway und seinen Schauspielern sehr nützlich sein.«
Susan verstand. In dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten lief es nicht anders als zu Hause in England. Beziehungen waren das A und O, wenn man Erfolg haben wollte. Sie hob den Kopf und sah Kingsley in die Augen.
»Das mag wohl sein, Mr. Kingsley, dennoch werde ich mich nicht an irgendwelchem Klatsch beteiligen. Das Privatleben dieser Männer geht mich nichts an, mögen sie auch noch so einflussreich sein.«
»Gut gesprochen!« Ein Herr an ihrem Tisch, dem Susan zuvor wenig Beachtung geschenkt hatte, klatschte kurz in die Hände. Er hatte wohl einen Teil ihres Gespräches mit Kingsley mitverfolgt, wenngleich sie leise gesprochen hatten. Nun neigte der Mann leicht seinen Kopf. »Mister Daniel Draycott.«
Kingsley stellte sich seinerseits vor und fragte: »Sie sind Amerikaner, Mr. Draycott? Auf der Heimreise, nehme ich an.«
Susan fand Kingsleys Neugierde schrecklich aufdringlich, Mr. Draycott blieb jedoch unverändert freundlich.
»Aus Boston«, antwortete er. »Geschäfte haben mich nach London geführt«, antwortete er, ohne jedoch zu erwähnen, welcher Art seine Geschäfte waren. Nun richtete sich sein Blick auf Susan. »Die junge Dame ist wohl Ihre Tochter, Mister Kingsley?«
Susan verkniff sich ein Schmunzeln, als eine leichte Röte über Kingsleys Wangen zog.
»Darf ich Ihnen Miss Peggy Sue aus London vorstellen, Mr. Draycott? Ich bin Assistent der Geschäftsleitung des Pigeon-Theatre in New York, Sie haben von unserem Haus sicher schon gehört, und Miss Peggy wird in der nächsten Saison an unserem Haus spielen.«
»Sehr erfreut, Miss Sue«, sagte Draycott höflich und ließ seinen Blick über Susan schweifen. »Sie sind also Sängerin?«
Susan nickte. »In erster Linie Schauspielerin, aber ich singe auch sehr gerne.«
»Dann können wir hoffentlich auf eine Kostprobe Ihres Könnens gespannt sein? Werden Sie auf dem Schiff auftreten?«
Susan durchfuhr ein Schreck. Schnell tauschte sie einen Blick mit Kingsley, denn ein Auftritt während der Überfahrt war nie erwähnt worden. Kingsley erkannte jedoch die Chance, Susan einem breiten und vor allen Dingen elitären Publikum vorzustellen.
»Das ist eine hervorragende Idee, Mr. Draycott. Ich werde mit dem verantwortlichen Kapellmeister sprechen, vielleicht kann man für morgen Abend etwas arrangieren?«
Am liebsten hätte Susan Kingsley unter dem Tisch einen
Weitere Kostenlose Bücher